Lehrbuch der Nervenkrankheiten / von G. Aschaffenburg [and others].

Curschmann, Hans, 1875-

Date:: 1909

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Credit: Lehrbuch der Nervenkrankheiten / von G. Aschaffenburg [and others]. Source: Wellcome Collection.

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Wie wir später sehen werden, ist bei allen Motilitätsstörungen im menschlichen Körper neben der Lähmung eine zweite Hauptgruppe von Störungen denkbar: die Hyperkinese, der Krampf, bei dem wir tonische (ständige Anspannung des erkrankten Muskels) und klonische Krämpfe (Wechsel zwischen Spannung und Erschlaffung,. zuckende Bewegung) unter- scheiden. Dies gilt auch für die Augenmuskeln, bei denen aber Krämpfe außerordentlich viel seltener auftreten als Lähmungen. So ist ein auf echtem Krampf beruhender Strabismus (meist convergens) sehr selten und fast nur bei Hysterie beobachtet. Hierbei sei erwähnt, daß die weitaus größte Mehrzahl aller Fälle von Strabismus (des sog. muskulären oder konkomitierenden Schielens) nicht auf einer Muskellähmung, sondern sozu- sagen nur auf Schwächezuständen, einer sog. Gleichgewichtsstörung der Muskeln beruht; daß er trotz der Stellungsänderung der Bulbi meist ohne Doppelsehen und ohne Beweglichkeitsstörung einhergeht, und daß infolge- dessen hierbei die typische Prüfung der einzelnen Augenmuskeln gewöhnlich ein negatives Ergebnis hat. Vgl. hierüber die Lehrbücher der Augenheil- kunde. Als einen tonischen Krampf haben wir bisweilen die merkwürdige Erscheinung der konjugierten Deviation anzusehen, bei der beide Augen nach rechts oder nach links gedreht fixiert gehalten werden (besonders bei Hirntumor bestimmter Regionen, oft mit gleichsinniger Drehung des Kopfes). In selteneren Fällen kann ihr auch eine eine Lähmung der Antagonisten zu- grunde liegen. Als klonische Krämpfe der Augenmuskeln dürfen die verschiedenen Formen des Nystagmus aufgefaßt werden: kurze, rascher oder langsamer sich folgende Zuckungen eines oder beider Bulbi in Seitenrichtung (N. hori- zontalis), vertikaler Richtung (N. verticalis) oder Drehung (N. rotatorius). Wir beobachten ihn (s. oben) nicht selten bei Paresen einzelner Muskeln im Sinne und der Richtung ihrer Wirkung (namentlich N. horizontalis, der übrigens bei „Endstellungen‘“ der Bulbi, bei extremer Seitenrichtung, gar nicht selten auch bei Gesunden gefunden wird!), ferner angeboren (hier oft schon sehr intensiv bei geradeaus gerichteter Blickachse), als Berufs- krankheit (Bergleute), bei Erblindung und endlich — für den Neurologen besonders wichtig — bei einer Reihe von Gehirnaffektionen, vor allem bei der multiplen (zerebrospinalen) Sklerose. Während die Prüfung der einzelnen Augenmuskeln zu den schwierigeren Kapiteln der Nervendiagnostik gehört und hier und da die Unterstützung des Ophthalmologen wünschenswert macht, soll die Beurteilung des Augen- hintergrundes jedem Nervenarzte in allen Hauptpunkten geläufig sein. Wir dürfen hierbei absehen von den eigentlichen Affektionen der Retina und Chorioidea, die den Nervenarzt seltener beschäftigen (höchstens bis- weilen als Zeichen neuropathischer Disposition, wie bei der Retinitis pig- mentosa u. a. kongenitalen Leiden), müssen aber daran denken, daß bis- weilen die Diagnose eines Hirnleidens durch eine Retinaaffektion irrtümlich bestätigt scheinen kann, wie‘ bei einer sich nur auf die Papille beschränkende, eine Neuritis optica vortäuschende Retinitis albuminurica. Uns interessieren namentlich zwei ophthalmoskopische Befunde: Die Neuritis optica, bzw. Stauungspapille und die Sehnerven- atrophie. Bei der Neuritis optica erscheint die Papille getrübt, gerötet oder graurötlich gefärbt, die Venen erweitert, die Arterien der Papille verengert, der Rand der Papille unscharf. Der Durchmesser kann erheblich vergrößert