Casuistische Beiträge zur epileptischen Psychose / Martin Schunck.

  • Schunck, Martin.
Date:
1890
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    W ährend in früheren Zeiten die Ansicht herrschte, nur dann könne von Epilepsie, diesem „morbus sacer“ der Alten die Rede sein, wenn die furchtbaren „dämo- nischen“ Krampfanfälle sich zeigten, und man gerade auf diese den Hauptnachdruck legte, ohne sich weiter um die psychischen Begleiterscheinungen viel zu küm- mern, hat sich das Interesse in der letzten Zeit mehr auf die von Seiten der Epilepsie hervorgerufenen Alte- rationen der Psyche gelenkt. Dadurch ist das ganze Krankheitsbild in ein anderes Licht gerückt und sehr bedeutend erweitert worden. Es war unter den deutschen Ärzten Samt der erste, welcher unter Anführung von über vierzig Fällen das Irrsein von Epileptischen näher erörterte. Er ging in seinen Darlegungen so weit, zu behaupten, man könne von epileptischem Irrsein auch dann reden, wenn von epileptischen Anfällen gar nichts bekannt sei. Diese Ansicht fand nicht allgemeine Anerkennung und wird auch heute noch nicht als feststehend angenommen. So will unter anderen Gnauck nur dann von einem epilep- tischen Irrsein gesprochen haben, wenn wirklich epi- leptische Anfälle vorhergegangen sind. Nicht immer brauchen diese in der Form des von den französischen Psychiatern als „grand mal“ bezeichneten Krankheits- bildes mit der Gewalt aufzutreten, dass der Kranke mit schwindendem Bewusstsein zur Erde stürzt, in heftige Krämpfe verfällt und erschöpft ohne Erinnerung an den Vorgang bald in tiefen Schlaf versinkt, oft sind es nur leichte Schwindelanfälle, nur secundenlang andauernder Bewusstseinsverlust oder -trübung, kaum auffällige Muskelzuckungen, welche „petit mal“ oder Vertigo ge- nannt, an Wert jenem grand mal völlig gleichkommen.
    Samt behauptet, wie schon angedeutet, nur die Form des Irrseins entscheide einen Fall als epileptisches Irrsein, nicht der Nachweis epileptischer Antecedentien. Es ist nun gewiss von Interesse zu erfahren, wie Samt dieses specifisch epileptische Irrsein charakterisiert. Als hauptsächliche pathognomische Symptome bezeichnet er: 1. Stupor mit charakteristischer sprachlicher Reac- tion in verschiedenen Intensitätsgraden. 2. Rücksichtslose, extreme Gewalttätigkeit. 3. Schwere, ängstliche Delirien. 4. Verschiedenartiger Erinnerungsdefect. Dann das Gemisch ängstlicher Delirien mit Grössen- und eigentümlichen religiösen Delirien. Mit Beziehung auf letztere schreibt Samt ganz bezeichnend: „Diese pathologische Religiosität, die Bigotterie und Duldermiene steht in wunderlichem Gegensatz zu der Reizbarkeit, Unverträglichkeit, Brutalität und moralischen Defectuo- sität dieser „armen Epileptiker“, welche das Gebetbuch in der Tasche, den lieben Gott auf der Zunge und den Ausbund von Kanaillerie im Leibe tragen“. Obige Symptome nun brauchen nicht immer zu- sammen vorhanden zu sein; schliesslich entscheidet ja nicht allein die Symptomatologie, sondern auch die Art der Entwickelung und des Verlaufes. Nach letzterem scheidet Samt das epileptische Irr- sein in ZAvei Hauptgruppen: a) Das postepileptische Irrsein,, b) das psychisch-epileptische Äquivalent. Im grossen und ganzen ist diese Einteilung auch von späteren Psychiatern beibehalten, doch meist noch näher specialisiert worden. Zweckmässig erscheint die folgende Einteilung der im Gefolge der Epilepsie auftretenden Psychosen: 1. Epileptischer Stupor. 2. Postepileptisches Delirium. 3. Epileptisch-psychisches Äquivalent. Der epileptische Stupor, der sich in der Regel direct an einen epileptischen Anfall anschliesst, ähnelt dem Stupor oder vielmehr Pseudostupor bei Paranoia. Der Kranke ist hochgradig benommen, reagiert auf
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