Über progressive Muskelatrophie; über wahre und falsche Muskelhypertrophie / von N. Friedreich.

  • Friedreich, Nikolaus, 1825-1882.
Date:
1873
Catalogue details

Licence: Public Domain Mark

Credit: Über progressive Muskelatrophie; über wahre und falsche Muskelhypertrophie / von N. Friedreich. Source: Wellcome Collection.

Provider: This material has been provided by the Augustus C. Long Health Sciences Library at Columbia University and Columbia University Libraries/Information Services, through the Medical Heritage Library. The original may be consulted at the the Augustus C. Long Health Sciences Library at Columbia University and Columbia University.

    18/402 (page 2)
    dauernder und schwerer fieberhafter Erkrankungen (Typhus u. dgl.) zur Entwickehing gelangen, als besondere Gruppen abgesondert werden müssen. Hier ist die Abmagerung der Muskeln keine Krankheit sui generis, sondern nur das Symptom eines defekten Stoffwechsels im All- gemeinen, eines ungenügenden Wiederersatzes der durch Muskelarbeit, durch das Fieber u. s. w. consumirten Theile der contraktilen Muskelsubstanz, ohne dass hierbei eigentlich degenerative Vorgänge an den Muskelelementen bestehen. Vielmehr handelt es sich hier lediglieh um eine einfache Abmagerung, um eine einfache Atrophie aller einzelnen Primitivbündel, welche in den günstigen Fällen nach Beseitigung des Grundleidens einer raschen und vollständigen Restitu- tion fähig ist. § 3. Ebenso wird man als eine besondere Gruppe von Muskelatrophie alle jene Fälle abzu- sondern haben, in denen die regressive Eruähruügsstörung in den Muskeln offenbar als eine Folge gestörten Nerveneinflusses sich ergiebt (neurotische Muskelatrophieen). Mitunter scheinen es rein funktionelle Störungen der Nerventhätigkeit zu sein, welche die Atrophie in irgend einer Weise zu Stande bringen, häufiger aber handelt es sich um allerlei organische Ver- änderungen des centralen oder peripherischen Nervensystems. Ich habe wiederholt und namentlich bei Hypochondren, sowie bei das Bild der sog. reizbaren Schwäche des Nerven- systems darbietenden Individuen Zustände der äussersten Muskelabmagerungen sich entwickeln gesehen, welche mitunter selbst den Verdacht eines irgendwo latent liegenden carcinomatösen oder sonstigen malignen Prozesses erweckten, welche aber nach kürzerem oder längerem Bestände bei einem tonisirenden Regimen und einer roborirenden Behandlung zur Norm zurückkehrten. Nicht Immer bestehen in solchen Fällen zugleich besondere Störungen der digestiven Sphäre, welche man als Ursache der fortschreitenden Abmagerung bezeichnen könnte, und man kann Fälle beobachten, in denen einzig und allein der abnorme Zustand des Nervensystems als die Ursache der Ernährungsstörung betrachtet werden kann. Sicherlich werden manche in der Literatur unter der Benennung der progressiven Muskelatrophie verzeichneten Fälle, welche durch Leberthran, Chinin, Eisen u. dgl. geheilt worden sein sollten, in diese Categorie neurotischer Atrophieen gestellt werden müssen. — Was die organischen Veränderungen der centralen Nerven- heerde betriö't, so sind es seltener cerebrale, häufiger gewisse spinale Erkrankungen, welche zu sekundären Muskelatrophieen Veranlassung geben, die, soweit meine Erfahrungen reichen, theils in einer einfachen Abmagerung, theils in fettiger Degeneration der Muskelelemente beruhen. Sicherlich ist es hier nur zum geringsten Theil der Nichtgebrauch der durch die primitive Affektion des Gehirns oder Rückenmarks gelähmten Theile, welcher der Atrophie zu Grunde liegt; denn wir sehen namentlich bei spinalen Paraplegieen die Atrophie der Beine mitunter schon in sehr kurzer Zeit der Lähmung folgen und rasch zu den höchsten Graden fort- schreiten, während in anderen Fällen die Muskeln von Gliedern, welche Jahre hindurch in vollständiger Paralyse sich befinden, ihre regelmässige Ernährung und ihr unvermindertes Volumen bewahren. Gerade die Betrachtung jener Fälle, in denen bei spinalen Paralysen die Atrophie der Muskeln sehr rasch der Lähmung folgt, wie dies bei Myelitis, bei Com- pression des Rückenmarks durch Frakturen und Luxationen der Wirbelsäule, durch Geschwülste u. dgl., bei der sog. spinalen (essentiellen) Kinderlähmung nicht selten geschieht, war für Viele bestimmend, hier an einen die Nutrition direkt alterirenden Einfluss der Nerven zu denken. In welcher Weise in derartigen Fällen der Defekt der Innervationsvorgänge die Atrophie