Lehrbuch der Augenheilkunde / von Ernst Fuchs.

  • Fuchs, Ernst, 1851-1930.
Date:
1893
    Blutung miisste ein Tampon von Jodoformgaze in die Orbita selbst eingefiihrt werden. Unter normalen Verhaltnissen ist die Operations- wunde binnen weniger als einer Woche geheilt. Eitrige Entziindung des Orbitalgewebes (Phlegmone) tritt nacli der Enucleation nur dann ein, wenn die Wunde inficirt worden ist. Wenn die Enucleation an einem Auge ausgefiihrt wird, in welcliem Panophthalmitis besteht, kommt es zuweilen nach der Operation zu eitriger Meningitis mit todtlichem Ausgange. Panophthalmitis ist daher eine Contraindication der Enucleation (siehe Seite 355). Die Prothese soil nicht eher als friihestens 14 Tage nach der Enucleation eingesetzt werden. Dieselbe besteht aus einer glasernen Schale, welche den vorderen Bulbusabschnitt nachahmt und hinter den Lidern festgehalten wird. Nach einer normal geheilten Enucleation findet man eine von Bindehaut ausgekleidete Hohle, welche hinter dem oberen und unteren Lide in einen tiefen Falz, entsprechend dem Fornix conjunctivae, iibergeht. In diesen Falz legt sich der obere und untere Rand der Prothese hinein. Je tiefer der Falz; ist, desto besser halt das kiinstliche Auge. Aus diesem Grunde schont man bei der Operation die Conjunctiva bulbi so viel als moglich. In Fallen, wo man gezwungen ist, dieselbe theilweise hinwegzunehmen, wird der Rest der Bindehaut durch Vernarbung in die Hohle hineingezogen, wobei der Fornix entsprechend seichter wird. Dadurch kann es un- moglich werden, ein kiinstliches Auge tragen zu lassen. — Die Prothese bewegt sich gleichzeitig mit dem anderen Auge, wenn auch ihre Excursionen kleiner sind. Die vom Bulbus abgelosten Augen- muskeln haben ja ihre Verbindung mit der Tenon'schen Kapsel bei- behalten. Sie bewegen dieselbe in gleichem Sinne wie das andere Auge und mit ihr auch die Bindehaut, welche die Tenon'sche Kapsel xiberzieht, sowie die auf der Bindehaut ruhende Prothese. § 167. Die Indicationen zur Enucleation sind: 1. BosartigeGeschwiilste auf dem Bulbus oder im Bulbus, wenn sie durch weniger eingreifende Operationen, mit Erhaltung des Bulbus, nicht radical entfernt werden konnen. Bei Geschwiilsten, welche im hinteren Abschnitte des Augapfels sich entwickeln (Gliome des Sehnerven und Sarkome der Aderhaut), ist die Moglichkeit ge- geben, dass sich die Neubildung langs des Sehnerven nach riickwarts fortpflanzt. Man schneidet daher in solchen Fallen den Sehnerven nicht knapp am Auge, sondern moglichst weit hinten ab. Nach geschehener Enucleation besichtigt man den Querschnitt des am Bulbus hangenden Sehnervenstiickes. Sollte sich dasselbe von der Neubildung ergriffen
    zeigen, so miisste aucli der in der Orbita zuriickgebliebene Rest des Sehnerven aufgesucht und ausgeschnitten werden. 2. Ver 1 etzungen. Die Enucleation wird sofort gemacbt (pri- miire Enucleation), wenn eine so bedeutende Yerletzung vorliegt, dass das Auge unbedingt verloren ist. Dies ist der Fall bei ausgedehnter Zerreissung des vorderen Bulbusabschnittes mit Entleerung eines Theiles des' Bulbusinlialtes. Man erspart dem Patienten durcli die Enucleation die bevorstehende Panophthalmitis oder die langsame und schmerzhafte Schrumpfung des Auges. Wenn die Yerletzung derart ist, dass die Erhaltung des Auges, wenigstens hinsichtlich der Form desselben, nicht vollstandig ausge- schlossen ist, so versucht man zuerst das Auge zu retten, indem man jene Behandlung einleitet, welche durch die Art der Yerletzung in- dicirt ist. Wenn es trotzdem zur Entziindung kommt und das Seh- vermogen des Auges ganz zu Grunde geht, so ist dann die Indication zur Enucleation gegeben, um der sympatliischen Entziindung des anderen Auges vorzubeugen (secundare Enucleation). Die Enucleation sollte auch an jenen Augen vorgenommen werden, welche in Folge einer ungliicklichen Kataraktextraction durch Entziindung erblindet sind. 3. Iridocyclitis, Atrophia und Phthisis bulbi indi- ciren die Enucleation dann, wenn sympathische Ophthalmie droht oder schon ausgebrochen ist. Auch Schmerzhaftigkeit des Auges, welche auf andere Weise nicht zu beseitigen ist, erfordert die Enucleation. Dabei wird vorausgesetzt, dass jede Hoffnung auf Erhaltung oder Wiederherstellung eines brauchbaren Sehvermogens geschwunden ist. 4. Glaucoma absolutum, wenn es mit andauernder Schmerz- haftigkeit verbunden ist und andere, weniger eingreifende Operationen bereils ohne Erfolg vorgenommen wurden oder nicht ausfiihrbar sind. 5. Ektasie des Bulbus. Wenn der Bulbus, sei es durch grosse Stapliylome der Hornhaut oder der Sclera, sei es durch Hy- drophthalmus, sehr vergrossert ist, so belastigt er den Patienten durch bestandige Reizzufalle, durch Yerhinderung des vollstandigen Lid- schlusses und durch die Entstellung. Die Enucleation ist dann ange- zeigt, vorausgesetzt, dass auf andere Weise (z. B. durch eine Sta- phylomoperation) der Bulbus nicht verkleinert werden kann. 6. Blutung aus einem operirten oder geborstenen Auge, welche auf andere Weise nicht zu stillen ist. 7. Kosmetische Riicksichten veranlassen zuweilen, ein erblindetes und sehr entstellendes Auge zu entfernen, um ein kunst- liches an dessen Stelle tragen zu lassen.
    Viele Operateure bedienen sich zur Enucleation des Schielhakens. Mit dem- selben werdeii die zu durchtrennenden Sehnen gefasst, hervorgezogen und dann auf dem Haken durchschnitten. Dieses Verfahren ist leichter, aber auch umstand- licher und zeitraubender, als die unmittelbare Aufladiing und Durchschneidung der Sehnen mit der Scheere, wie sie Arlt angegeben hat. Es kommt zuweilen vor, dass man einen Bulbus enucleiren muss, welcher selbst nicht krank ist. So z. B. bei der Entfernung grosser Geschwiilste aus der Orbita, wenn der Bulbus dabei so sehr im Wege steht, dass er die radicale Exstirpation des Neugebildes verhindern wiirde. — Durch ausgedehnte Operationen in der Nachbarschaft des Auges wird dasselbe zuweilen aller Stiitzen beraubt und wiirde ganz entblosst zuriickbleiben. Auch in diesem Falle ist es besser, dasselbe gleich mit zu entfernen, als es durch Panophthalmitis zu Grunde gehen zu lassen. Die Prothese soil jeden Abend aus der Augenhohle herausgenommen und gut gereinigt werden. Mit der Zeit verliert sie ihren Glanz und muss durch eine neue ersetzt werden. Nicht selten geschieht es, dass die Bindehaut durch den mechanischen Reiz, welchen die Prothese ausiibt, in katarrhalische Entziindung gerath. Dann muss das Tragen der Prothese auf einige Stunden taglich einge- schrankt oder zeitweilig ganz aufgegeben und der Bindehautkatarrh entsprechend behandelt werden. Es kommt aber auch das Umgekehrte vor, dass namlich durch das Tragen der Prothese friiher vorhandene Beschwerden verschwinden. Dies ist dann der Fall, wenn nach der Enucleation die Lider nach rtickwarts sinken und Entropium entsteht, in Folge dessen die nach einwarts gerichteten Cilien die Bindehaut reizen. Durch das Einlegen des kiinstlichen Auges erhalten die Lider eine 1 Stiitze; es verschwindet das Entropium und damit der Reizzustand der Bindehaut. Die Prothese kann nicht bios in einer leeren Orbita getragen werden, sondern auch iiber dem Bulbus. Bedingung ist nur, dass der Bulbus verkleinert ist, entweder im Ganzen durch Atrophic oder Phthise, oder wenigstens in seinem vorderen Abschnitte durch Applanatio corneae oder nach Abtragung eines Horn- hautstaphyloms. Die einem Bulbus aufruhende Prothese sieht bcsonders tauschend und natiirlich aus und bewegt sich auch mit dem darunterliegenden Auge sehr Tollkommen mit, wahrend eine in der leeren Orbita ruhende Prothese immer etwas zu klein und zu tief liegend erscheint und sich auch weniger gut bewegt. Man wird daher schon aus kosmetischen Griinden die Enucleation nur dann machen, wenn sie unbedingt erforderlich ist, sonst aber Operationsmethoden vor- ziehen, welche den Bulbus, wenn auch in verkleinerter Form, erhalten (z. B. Sta- phylomoperationen). Leider ertragt der Stumpf des Auges die Prothese nicht immer gut. Er kann durch dieselbe gereizt werden, so dass er sich entziindet und schmerzhaft wird, ja es sind selbst Falle von sympathischer Entziindung des anderen Auges in Folge der Reizung des Stumpfes durch eine Prothese bekannt geworden. In solchen Fallen muss man entweder auf die Prothese verzichten oder den zu empfindlichen Stumpf enucleiren. Weil die Prothese, auf einen verkleinerten Bulbus aufgesetzt, kosmetisch so vortheilhaft ist, hat man getrachtet, die Enucleation durch eine Operation zu ersetzen, welche einen Stumpf in der Orbita zuriicklasst. Diese Operation ist die Exenteratio bulbi. Sie wird nach Alfred Graefe in folgender Weise aus- gefiihrt: Man entfernt zuerst die Hornhaut sammt einer angrenzenden Zone der Sclera, indem man die Jetztere nahe dem Limbus zuerst mit dem Messer ein-
    schneidet und dann mit der Scheere ringsum abtragt. Hierauf wird der Iiihalt des er6£fn«ten Bulbus mit einem scharfen Loffel rein ausgeschalt, so dass die innere Flache der Sclera frei vorliegt. Endlich verschliesst man die Oeffnung wieder durch Suturen, welche durch die Bindehaut und die Schnittrander der Sclera gehen. In dem Bestreben, moglichst conservativ zu sein, hat man auch versucht, die Enucleation durch die Durchschneidung der Nerven zu ersetzen, welche zum Auge gehen. Diese Operation ist die Neurotomia optico-ciliaris (Boucheron, Scholer). Man durchschneidet zuerst die Bindehaut iiber dem Rectus internus und dann diesen selbst. Von dieser Wunde aus dringt man mit der Scheere nach riickwarts bis zum Sehnerven, den man moglichst weit hinten durchtrennt. Nun ist es moglich, den Bulbus so weit nach aussen zu rollen, dass dessen hinterer Abschnitt sammt dem Sehnervenstumpfe in der Wunde erscheint. Man tragt das an der Sclera haftende Stiick des Sehnerven knapp an derselben ab. so dass, wenn der Nerv zuerst weit riickwarts durchschnitten wurde, ein langes Stiick des- selben resecirt wird. Dann saubert man den hinteren Abschnitt des Augapfels bis zum Aequator von allem anhangenden Gewebe, wobei auch die meisten Ciliar- nerven durchtrennt werden. Hierauf wird der Bulbus wieder an seine Stelle in der Tenon'schen Kapsel zuriickgebracht und daselbst fixirt, indem man die durch- schnittenen Enden des Rectus internus und die Bindehaut durch Nahte wieder vereinigt. Nach VoUendung der Operation wird ein Druckverband angelegt. Sowohl die Exenteration des Bulbus als die Neurotomie konnen selbst- verstandlich die Enucleation nicht ersetzen, wenn bosartige Neubildungen im Auge vorhanden sind. Dagegen sollten sie diese subsfituiren, wenn es sich x\m Augen handelt, die wegen Schmerzhaftigkeit oder wegen drohender sympathischer Ent- ziindung entfernt werden sollten. Allein beide Operationsmethoden haben sich als nicht vollkommen verliisslich crwiesen. Die Schmerzhaftigkeit kehrt nicht selten wieder und auch sympathische Ophthalmie ist nach beiden Operationsmethoden beobachtet worden. Dazu kommt, dass diese Operationen schwieriger auszufiihren sind, als die Enucleation und eine bedeutend langere Heilungsdauer erfordern. Sie werden daher die Enucleation wohl niemals verdrangen, wenn sie auch in besonderen Fallen zuweilen am Platze sein mogen. Die Exenteratio orbitae geschieht folgendermaassen: Nachdem der Patient narkotisirt ist, wird die aussere Lidcommissur bis iiber den ausseren Orbitalrand hinaus gespalten. Dadurch werden die Lider frei beweglich und konnen nach oben und unten zariickgeschlagen werden, um moglichst freien Zugang zur Orbita zu haben. Man durchtrennt nun hinter den umgeschlagenen Lidern die Weichtheile mit dem Scalpell bis auf den knochernen Orbitalrand. Von diesem aus lost man das Periost ringsum vom Knochen ab bis zur Spitze der Orbita. Es liegt jetzt der gesammte Orbitalinhalt als ein ringsum freier Kegel in der Orbita und hangt nur noch am Foramen opticum durch den Sehnerven und die Arteria ophthalmica fest. Dieser Stiel wird am besten stumpf durchtrennt, um die Blutung aus der Arterie zu vermeiden. Sollte diese dennoch bluten, so muss man sie mit dem Pacquelin'schen Thermocauter oder mit dem Galvanocauter ver- schorfen, da eine Ligatur dieser Arterie aus techniscben Griinden nicht moglich ist. Darauf entfernt man noch alle dem Knochen anhangenden Gewebsfetzen, so dass dieser vollkommen entblosst daliegt. Dann wird die Orbita nach gehoriger Ausspiilung mit desinficirender Fliissigkeit mit Tampons von Jodoformgaze aus- gefiillt und ein leichter Druckverband dariiber angelegt.
    III. Operationen gegen Trichiasis. § 168. Die Zahl der Operationsmethoden, welclie zur Beseitigung der Tricliiasis (und Distichiasis) angegeben wurden, ist ungemein gross. Viele der Yorgeschlagenen Verfahren unterscheiden sich jedoch nur in geringfiigigen Details von einander, so dass es geniigt, einige wenige der Methoden als Grundtypen ausfiilirlieli zu beschreiben. — Von einer guten Tricliiasisoperation muss verlangt warden, dass sie die unriclitige Stellung der Cilien beseitigt und eine Riickkelir zu der- selben — Recidive — verliiitet. Unter gleichen Umstanden wird man derjenigen Metliode den Vorzug geben, welciie dieses Resultat mit der geringsten Entstellung erreiclit. Das Verfahren, auf welches man zunachst verfallen musste, besteht darin, denjenigen Theil des Lides, welcher die Cilien tragt, einfach abzutragen (Abtragung des Haar- zwiebelbodens). Da die Resultate dieser Operationsmethode aber viel zu wiinschen iibrig liessen, veranderte man sie in der Weise, dass man den Haarzwiebelboden nicht abtrug, sondern nur so verschob, dass die Cilien die gewiinschte Richtung bekamen (Transplantation des Haarzwiebelbodens). Durch diese Methoden wird das Uebel be- hoben, ohne dass jedoch dessen Ursache, die Verkriimmung des Tarsus, beseitigt worden ware. Man dachte daher auch daran, die Trichiasis dadurch zu heilen, dass man dem verkriimmten Tarsus seine normale Form zuriickgibt (Streckung des Tarsus). Auf dem einen oder anderen dieser Grundsiitze beruhen die meisten der bekannten Trichiasis- operationen. 1. Abtragung des Haarzwiebelbodens nach Flarer. Wahrend der Operation muss man dem Lide eine feste Unterlage geben, auf welcher man schneiden kann. Zu diesem Zwecke benixtzt man eine Hornplatte, welehe man unter das Lid schiebt, entweder in der ein- fachen Form der Jager'schen Hornplatte oder in der complicirten des Knapp'schen Blepharostaten, bei welchem das Lid durch einen Metallring an eine Hornplatte angedriickt erhalten wird. Auch bei den anderen Methoden der Tricliiasisoperation muss das Lid in gleicher Weise fixirt werden. Nach Einlegung der Hornplatte fiihrt man mit der Lanze (oder mit einem Scalpell) einen Einschnitt im intermar- ginalen Saume, und zwar in jener grauen Linie, welche die Miin- dungen der Meibom'schen Driisen von den Wurzeln der Cilien trennt (Fig. 93 i). Wenn man hier einschneidet, kommt man in das lockere Bindegewebe, welches zwischen dem Tarsus und den Muskelfasern des Orbicularis liegt und sich leicht trennen lasst. Man spaltet da-