Diagnostik der Krankheiten des Nervensystems : eine Anleitung zur Untersuchung Nervenkranker / von A. Goldscheider.

  • Goldscheider A. (Alfred), 1858-1935.
Date:
1897
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Credit: Diagnostik der Krankheiten des Nervensystems : eine Anleitung zur Untersuchung Nervenkranker / von A. Goldscheider. Source: Wellcome Collection.

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    Sehr liäufig, aber nicht immer, ist eine ncurasthenische Dis- position, welche oft ancli erblich ist, vorhanden. Man kann dann aiiamnestiscli ermitteln, dass der Kranke schon in sehr jungen Jahren eine anflallende gemüthliche Emplindlichkeit, Neigung zur Verstimmung u. s. w. gezeigt hat. Sicher besteht eine Beziehung der Neurasthenie zur Gicht; die neurasthenischen Beschwerden können dem Ausbruch der Gicht lange Zeit vorangehen. Sehr häufig ist die Neurasthenie der Ausdruck eines Diabetes mellitus; man versäume nicht, den Urin mehrfach zu untersuchen. Traumatische Neurosen. Auf Erkrankungen in Folge von Unfällen wurde besonders in Folge der nach Eisenbahn-Unfällen beobachteten Störungen die Aufmerksamkeit gelenkt, welche Erichsen 1866 zuerst zusainmenfassend beschrieb. Er und die folgenden Autoren fassten die Aifection im AYesentlicheu als eine Erschütterung des Eücken- marks auf (Kailway-Spine). AA''eiterhin wurde hinzugefügt, dass auch cerebrale Störangen durch das Trauma veranlasst werden können. Sodann gelangte man besonders durch das Studium der nach Trauma auftretenden eigenartigen Sensibilitäts-Störungen dazu, die Affection als eine rein cerebrale, und zwar vorwiegend functioneller Art auf- zufassen (Thomson und Oppenheim u. A.). Charcot ordnete das Krankheitsbild der Hysterie unter, indem er auch als das Wesentliche nicht das Trauma selbst, sondern die dasselbe begleitende psychische Emotion ansah und die khnischen Erecheinungen von der krankhaft afficirten Vorstellung ableitete. Eine Reihe von Autoren fassen die nach Unfällen auftretenden Krankheits- erscheinungen als Ausdruck einer durch den Unfall veranlassten eigenartigen functiouellon Erkrankung des Nervensystems auf und erklären diese füi’ eine Krankheit sui generis — „traumatische Neurose.“ — Andere meinen, dass es keine eigenaifige „traumatische“ Neurose gebe, sondern dass es sich um gewöhnliche Hysterie, Neurasthenie, Hypochondrie oder Melanchohe handle, welche gelegentlich durch Unfälle hervorgerufen werden. Practisch wichtiger als diese principielle Frage ist die Frage der sicheren Diagnose der Erkrankung und ihrer Erheblichkeit. Die „Symptome“ sind haupt- sächlich suhjectiver Natur und wir sind daher viel mehr als bei anderen Krankheiten auf die Angaben der Kranken imd auf die Beobachtung ihres Gebahrens angewiesen. Da nun ausserdem die betreffenden Kranken in der Mehrzahl auf Grund des erlittenen Unfalls Entschädigungs-Ansprilche stellen, so liegt der Verdacht der Simulation nahe, und die Frage, wie man sich bei der Untersuchung und Diagnose vor der Simulation schütze, ist eine brennende geworden. Da es eben an objectiveu Nachweisen der Krankheit sehr mangelt, so ist es üi hohem Masse von dem sub- jectiven Ermessen, der besonderen Neigung, den persönlichen Erfahrungen u. s. w. des Beobachters abhängig, im Einzelfalle Simulation zu vermuthen oder nicht. Als Grundsatz muss hierbei aufgestellt werden, dass nicht der Kranke zu beweisen hat, dass ei' wirklich krank ist, sondoru dass der Begutachter zu beweisen hat, dass derselbe simulirt; ist dies nicht möglich, so muss die Krankheits-Diagnose gestellt werden. Der Simulations-Nachweis ist jedoch sehr schwierig, und zuweilen werden in dieser Beziehung zu eilfertige Schlüsse gezogen. Principiell wichtig erschemt es namentlich, darauf hinzuweisen, dass der Nachweis der Ueber- treibung (Aggravation) keineswegs den Nachweis der Simulation in. sich sch lesst. Die Uebertreibuug ist bei traumatischen Neurosen ungemein häufig deshalb sind aber die Beschwerden noch lange nicht völlig fingirt. Es ergiebt sich Heraus zugleich, dass es ganz besonders schwierig ist festzustellen, in welchem iUasso^ durch das be.stehende Leiden die Arbeitsfähigkeit beeinträchtigt ist