Gerichtliche Psychiatrie : ein Leitfaden für Mediziner und Juristen.

  • Cramer, A. (August), 1860-1912.
Date:
1897-
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Credit: Gerichtliche Psychiatrie : ein Leitfaden für Mediziner und Juristen. Source: Wellcome Collection.

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    fi. Kapitel. Das materielle Recht. Ein Eing-ehen auf die speziellen Verhältnisse, unter denen die einzelnen Formen von Seelenstörung-en zum Straf- und Civilrecht in Beziehung treten, ist nicht möglich ohne eine Kenntnis des materiellen Rechts. Wir wollen uns zunächst mit dem Striiirecht beschäftigen. Das Gesetzbuch, welches hierbei in Betracht kommt, ist das Straf- gesetzbuch für d a s D e u t s c h e Reich. Der für die forense Psychiatrie wichtigste Paragraph dieses Ge- setzbuches ist der § 51. Jeder, der öfter in die Lage kommt, Handlungen Geisteskranker in foro begutachten zu müssen, thut gut. denselben wörtlich dem Ge- dächtnis einzuprägen. Er lautet: § 51. „Eine strafbare Handlung ist nicht v o r - § öi des Straf- handen, wenn derThäter zur Zeit der Begehung der Hand- ^ lung sich in einem Zustande von Bewusstlosigkeit oder krankhafter Störung der Geistesthätigkeit befand, durch welchen seine freie Wille nsbestimmungausgeschlossenwar. „Bei der gewählten Fassung des Paragraphen hat man zugleich mit den Schlussworten desselben ausdrücken wollen, dass die Schluss- folgerung selbst, nach welcher die freie Willensbestimmung in Be- Freie wiuens- ziehung auf die Handlung ausgeschlossen war, die Aufgabe des Richters Bestimmung, ist, heisst es in den Motiven zum Strafgesetzbuch.^) Es zerfällt also der Paragraph im Sinne der Gesetzgeber in zwei Teile, deren erster, die Frage nach dem Zustande von Bew^usstlosig- keit oder krankhafter Störung der Geistesthätigkeit vom ärztlichen Sachverständigen, deren zweiter, die Frage nach der freien Willens- bestimmung, vom Richter zu beantworten ist. Dieser Anschauung haben sich auch hervorragende Rechtslehrer angeschlossen. Es ist damit für den ärztlichen Sachverständigen das Feld seiner Thätigkeit genau vorgeschrieben, er hat zu untersuchen, ob ein Zustand von Be- wusstlosigkeit oder krankhafter Störung der Geistesthätigkeit vorliegt und sich darüber zu äussern. Danach wird auch von vielen Autoren verfahren, die wissenschaftliche Deputation für das Medizinalwesen hat in dieser Form Gutachten abgegeben, ja einzelne Autoren lehnen es geradezu ab, die Frage nach der freien Willensbestimmung zu beant- worten. (Mendel.) In der Praxis kommt es häufig vor, dass man nach einem ausführ- lichen Gutachten über den Geisteszustand direkt danach gefragt wird, ob die freie Willensbestimmung vorhanden sei oder nicht, diese Frage kann der Arzt streng genommen als Sachverständiger garnicht beantworten, sondern er kann nur seine private Ansicht darüber äussern, denn die ärztliche, speziell die psychiatrische Wissenschaft ^) Stenographische Berichte des Reichstages für den norddeutschen Bund. 1870. ni. Band. Anlagen 1 — 12. p. 55.