Volume 3

Die Funktionen der Nervencentra / von W. v. Bechterew ; deutsche Ausgabe in Verbindung mit dem Verfasser redigiert durch Richard Weinberg.

  • Bekhterev, Vladimir Mikhaĭlovich, 1857-1927.
Date:
1908-1911
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Credit: Die Funktionen der Nervencentra / von W. v. Bechterew ; deutsche Ausgabe in Verbindung mit dem Verfasser redigiert durch Richard Weinberg. Source: Wellcome Collection.

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    Wenn das Kind sprechen lernt, richtet es sich nach Schallein- drücken, die es empfängt, wenn es auf die Sprache der Erwachseneu lauscht. Das Kind verbessert seine Aussprache so lange, bis das Aus- gesprochene vollkommen der Sprache der Erwachsenen gleich ist. In früher Kindheit aufgetretene Taubheit, welche konsekutiv zur Stumm- heit führt, ist ein offenbares Zeugnis für den Einfluß akustischer Ein- drücke auf die Sprache. Doch kommen für die Sprache auch andere regulatorische Empfindungen in Betracht, denn die Taubstummen können bei entsprechender Schulung schließlich mittels Tast-, Muskel- und optischen Empfindungen sprechen lernen. Von dem Bestehen einer solchen Regulation der Zweckbewegungen durch Muskelempfindungen kann man sich auch in Fällen hochgradig ausgesprochener Anästhesien leicht überzeugen. Denn in diesen Fällen können die Kranken einen Gegenstand nur so lange halten, so lange das Auge die Oberleitung über ihre Bewegungen hat. Die Bedeutung des Auges für die Bewegungen tritt am klarsten bei der Ataxie hervor. Wir wissen ja, wo der regulatorische Einfluß der Tast- und Muskel- empfindungen infolge bestehender Anästhesien gestört oder aufgehoben ist, die Kranken bei geschlossenen Augen ganz unfähig sind, zu stehen oder zu gehen (RoMSERG'sches Phänomen), während ihre Bewegungen bei offengehaltenen Augen, wo sie sich also der optischen Eindrücke bedienen, sich wesentlich besser vollziehen. Auf diesem Prinzip beruht bekanntlich die neueste von Fraenkel angebene Behandlungsmethode der Ataxie durch Gymnastik unter Kontrolle des Auges. Demnach befindet sich die Innervation der isolierten bezw. Zweck- bewegnngen unter dem regulatorischen Einflüsse der taktilen, algetischen, muskulären, akustischen und optischen Empfindungen. Es erweist sich dabei, daß für gewisse Bewegungen vorwiegend diese, für andere Be- wegungen jene Erapfindungsqualität bestimmend ist. Die Sprache z. B. Avird anscheinend in höherem Maße durch akustische, als durch andere Empfindungen reguliert; für die Extremitätenbewegungen dagegen sind in erster Linie die Tast- und Muskelempfindungen maßgebend; für die Be- wegungen der Augäpfel sind teils Tast- und Muskeleindrücke, teils optische Eindrücke von Bedeutung; airf die Bewegungen der Ohrmuschel der Tiere üben wahrscheinlich zumTeilTast- und Muskelempfindungen, hauptsächlich aber Schallreize einen regulatorischen Einfluß. Auch ist kaum daran zu zweifeln, daß die Bewegungen der Nasenflügel und der Schnauze bei den Tieren im wesentlichen Maße durch Geruchsempfindungen geregelt werden, während die Bewegungen der Zunge außer Tast- und Muskel- empfindungen im wesentlichen Grade mit den Geschmackseindrücken zusammenhängen. Für viele andere Zweckbewegungen kommen gleichzeitig mehrere Sinnesqualitäten (muskuläre, taktile, optische, akustische Eindrücke) als regulatorische Faktoren in Betracht. Aus diesen Ausführungen ergibt sich also, daß mit den Bewegungs- centren nicht allein die Centra der Haut-Muskelempfindungen im Zu- sammenhang stehen, sondern auch alle übrigen Sinnesfelder, von welchen aus motorische Impulse angeregt werden können. Es bedingt daher der alleinige Ausfall der sensiblen Haut-Muskel- centra in keinem Falle ein Hindernis für das Zustandekommen der kortikalen motorischen Reaktion, welche auch von anderen Sinnescentren