Volume 2

Das Weib in der Natur- und Völkerkunde : anthropologische Studien / von Heinrich Ploss und Max Bartels.

  • Ploss, Hermann Heinrich, 1819-1885.
Date:
1913
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Credit: Das Weib in der Natur- und Völkerkunde : anthropologische Studien / von Heinrich Ploss und Max Bartels. Source: Wellcome Collection.

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    250. Die Gottheiten der Geburt bei den indogermanischen Völkern. Außer den hier besprochenen Geburtsgöttinnen kommen bei verschiedenen Völkern indo- germanischen Stammes drei Schicksalsgöttinnen vor, welche ebenfalls bei der Entbindung und namentlich für das Schicksal des Neugeborenen als dessen Schutzgeister tätig sind. Jeden- falls deutet diese Übereinstimmung darauf hin, daß die Völker von gemeinschaftlicher Abkunft seit alter Zeit ihren mythischen Vorstellungen mit geringer Abweichung treu geblieben sind. Dies sind die Mareien der Deutschen, die Rojenice der Slowenen, dieSudietzky der T schechen und die Moiren der Griechen. Die Nomen sind in der skandinavischen Mythologie die Geburtsgöttinnen. Dabei ist jedoch zu bemerken, daß es drei Arten von Nomen gibt, und daß nur eine dieser Arten als Geburtsgöttinnen zu betrachten ist. Die erste Art sind die Haupt- Nomen, nämlich Urd, das Vergangene, Verdandi, das Werdende, und Skuld, das Zu- künftige, welche überhaupt das Schicksal der Menschen bestimmen. Die zweiten, die Schutz- Nomen, sind diejenigen, welche die einzelnen Menschen beschützen, ihre Handlungen lenken und schon bei der Geburt ihr künftiges Schicksal vorbereiten und daher auch als Geburtsgöttinnen gelten. Die Zauber-Nomen endlich sind alles Göttlichen entäußert und sind nichts als Wahr- sagerinnen und Hexen. Mones Ansicht über das Wesen der Nornen ist folgende: Der Urda- Brunnen (d. i. der Brunnen der Vergessenheit, an welchem die Nonien wohnen) ist ein Bild des Werdens und der Geburt, und zwar der organischen; zunächst der menschlichen Fortpflanzung. Geburt und Weib sind unzertrennliche Gedanken, daher sind weibliche Wesen die Wächterinnen und Pflegerinnen des Geburtsbrunnens und der Fortpflanzung. Die Nornen sind ihrem Namen nach Nährweiber; Brunnen und Brust, Wasser und Milch sind im Glauben unserer Voreltern verwandte Ideen. Die weiße Farbe, die bei den Nornen so sehr bedeutend ist, mag sich, wie Mone meint, auf die Unschuld der Neugeborenen beziehen; die weiße Eihaut deutet auf die Geburt (das Ei) und die Entwicklungskreise, wodurch die Emanationen erscheinen. Die alten Deutschen hatten eine besondere Geburtsgottheit nicht. In der Edda ist Freyja eine Göttin der Liebe und der schönen Jahreszeit; als Göttin der Ehe, als mütter- liche Gottheit steht neben ihr die Frigg (Simrock); sie ist Odhins Gemahlin, die Göttin der Haus- frauen (während Gefion die Göttin der Jungfrauen ist). Auch wird die Freia (Freyja) als das gebärende Naturprinzip angesehen; wie alle Repräsentantinnen desselben in der Mythologie anderer Völker (Artemis, Juno, Athene, Hekahe usw.), so ist auch sie eine Spinnerin (Nork). Es heißt auch, daß Oddrun bei schwerer Entbindung geholfen habe (Grimm). Die Freia ist die Mondgöttin, und das feuchte Mondlicht gilt als gebärendes Prinzip, weil es die Geburten erleichtern soll, was wieder an die Diana Lucina erinnert. Die Freia, die nachts am Horizonte dahinzieht, hat ein Katzengespann, und die indische Göttin Sakti (Bhavani, welche dieselben Funktionen wie Freia hat) reitet auf Katzen und gilt als Beschützerin der Kinder (Ward). In der Volsunga-Saga erfahren wir noch folgendes über die Geburtsgottheiten der Ger- manen. Sigurd fragt hier den Tafni: Sage mir, Tafni, wenn du recht weise bist, welcher Art die Nornen sind, so die Kinder von den Müttern lösen. Tafni antwortete: Zahlreich sind sie und verschiedenartig. Etliche sind von der Äsen, etliche von der Alfen und etliche von Dvalins (der Zwerge) Geschlechte (Edzardi). Bei den alten slawischen Völkern war Siuu oder Dziuxt wahrscheinlich identisch mit der Venus der Römer; sie war die schönhaarige Göttin der Liebe und des Genusses. Nach Mones Erklärung war die Siun oder Dziiva (welchen Namen Frencel von dem polnischen Zy wie, ernähren; Zywy, lebendig, herleiten will) bei den Wenden die vielbrüstige Mutter Natur, die gebärende und ernährende Erdkraft, und ihr Gemahl, Zibog, der Gott des Lebens. Nach Nork ist Lihussa das weibliche Naturprinzip der Slawen, welches zugleich die Urheberin der Geburten wie des Todes ist. Als Urweib heißt sie Baba (Weib, an die indische Geburtsgöttin Bhavani und an Aphrodite Paphia erinnernd), jedoch im Vollmond, der die Geburten erleichtert, ist sie Zlata Baba (das goldene Weib), Allmutter und Weltamme. Sie heißt dann auch Kraso Pani, d. i. schöne Frau, Racivia: die Gebärerin, Wesna: Frühlingsgöttin, Prija: die Fruchtspenderin (Freia'!), Ziza: die Vielbrüstige, Siwa (Sifl): die Erntegöttin; in Polen auch Jawine genannt (von jawai, das Getreide). Die Göttin des Mondes ist bei slawischen Völkern auch die Beschützerin der Ge- burten. In Kleinrußland gilt das Erscheinen des Mondes gleichzeitig mit einem Stern zur Zeit einer Geburt als glückbringend. Der Kasake, der zu dieser Zeit geboren wird, hat überall Glück, besonders in der Liebe. Die Seele des Kindes steht in geheimnisvoller Verbindung mit dem Stern. Ein fallender Stern bedeutet in Kleinrußland, daß ein Kind gestorben ist. Bei den alten Slawen war der Morgenstern der Beschützer der verheirateten Frauen;