Nervosität und neurasthenische Zustände / von R. v. Krafft-Ebing.

  • Krafft-Ebing, R. von (Richard), 1840-1902.
Date:
1895
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Credit: Nervosität und neurasthenische Zustände / von R. v. Krafft-Ebing. Source: Wellcome Collection.

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    klaren Weise — die Ernähr ungs- und Functionsbedingungen desselben ungünstig und dauernd beeinflusst haben (erworbene Veranlagung oder neuropathische Veränderung). Unter allen Umständen bedeutet diese constitutioneile Veranlagung oder Veränderung aber eine Schwächung des Organs, eine ver- minderte Widerstandsfähigkeit desselben Reizen aller xYrt gegenüber und eine verminderte Fähigkeit desselben zur Aus- gleichung von durch solche Einflüsse hervorgerufenen Störungen der Function. Damit erklärt sich ohne Weiteres die That- sache, dass in solcher Art beschaffenem Nervensystem gelänge Ursachen grosse Wirkungen hervorrufen, dass bei dem labilen Gleichgewicht der Function dieses leichter und länger andauernd verloren geht als bei rüstigem Organismus, so dass temporär die Grenze der Veranlagung nach dem Gebiet der Krankheit verschoben erscheint und namentlich, dass mit der häufigen Wiederkehr und Andauer von Reizen und Schädigungen, auf die das rüstige Nervensystem kaum oder nicht so intensiv reagiren würde, das gestörte Gleichgewicht dauernd verloren geht. Es ist dann rein subjective Ansicht, ob man die vorausgegangene Nervosität als Prädisposition zur oder als Vorstadium der erfolgten Krank- heit auffassen soll. In den übrigens seltenen Fällen, in welchen greifbare auslösende Ursachen für die eingetretene Nervenkrankheit nicht nach- weisbar sind, ist die letztere Alternative nicht ganz ohne Berechtigung. Hier stellt sich offenbar die dann immer angeborene, meist hereditäre Nervosität als eine wenn auch milde, so doch unverkennbar degenerative Verfassung des Centralnervensystems dar, die keiner Reizanstösse von aussen bedarf, um sich, allerdings wohl auf Grund endogener krankhafter Bedingungen (meistens Pubertätsvorgänge), zur schweren constitutioneilen Neurose oder auch zur Psychose fortzuentwickeln. Unter allen Umständen stellt die Nervosität eine Art Pandorabüchse dar, aus welcher alles mögliche Unheil für den mit ihr Behafteten ent- stehen kann. Von Art und Grad der ihr zu Grunde liegenden Belastung, noch viel mehr aber von der Interferenz zufälliger (Lebensschicksale) oder ab- sichtlich herbeigeführter (Erziehung) äusserer Einflüsse mag es abhängen, ob die neurotische Veranlagung bestehen bleibt oder sich zur Krankheit weiter entwickelt. Die praktische Medicin hat begreiflicherweise ein eminentes Interesse daran, die Entstehungsbedingungen, das Wesen und die Erscheinungs- formen dieser Nervosität genau zu kennen, denn Jeder, der nervös ist, erscheint exponirt und mehr weniger in Gefahr, in ausgesprochene Krank- heit zu verfallen; ja die Nervosität als constitutioneile Anomalie enthält in sich vielfach zugleich die accessorischen Bedingungen dazu, indem