Volume 1

Lehrbuch der speziellen Pathologie und Therapie der inneren Krankheiten für Studierende und Ärzte / Strümpell-Seyfarth.

  • Strümpell, Adolf von, 1853-1925
Date:
1934
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Licence: In copyright

Credit: Lehrbuch der speziellen Pathologie und Therapie der inneren Krankheiten für Studierende und Ärzte / Strümpell-Seyfarth. Source: Wellcome Collection.

    137/926 (page 111)
    gehobenen Tatsache, daß sich im Blutserum von Tieren (Schafe, Ziegen, Pferde u. a.), die mit künstlich abgeschwächten Kulturen von Diphtheriebazillen infiziert wurden, ge¬ wisse Schutzstoffe („Antitoxine“) entwickeln. Hat das Tier die leichte Infektion über¬ standen, so ist es weniger empfänglich gegen eine schwerere Infektion und kann schlie߬ lich durch fortgesetzte Impfungen auch gegen die schwerste Infektion völlig immunisiert werden. Das Blutserum von solchen immunisierten Tieren kann nun zur Behandlung von diphtheriekranken Menschen angewandt werden. In den großen Serumanstalten werden jetzt meist Pferde, aber auch Rinder oder Hammel zur Gewinnung des Heil¬ serums benutzt, und zwar werden die Tiere mit keimfreiem Filtrat virulenter Diphtherie¬ bazillenkulturen vor behandelt. Durch die Injektion von solchem Diphtherie-Heilserum werden dem Diph¬ theriekranken künstlich gewonnene Diphtherieantitoxine zur Verfügung ge¬ stellt. Diese sollen die im kranken Körper vorhandenen Diphtherietoxine unwirksam machen. Das bereits S. 102 besprochene Diphtherietoxin, das übrigens wahrscheinlich keine einheitliche Substanz ist, wurde von Löffler und von Roux und Yersin entdeckt. Es ist ein richtiges Sekretionsprodukt der Diphtheriebazillen, kein Bestandteil der Bazillen¬ substanz selbst. Um ein bestimmtes Maß für die Toxin- und Antitoxinmengen zu gewinnen, bezeichnet man nach Ehrlich als Toxineinheit diejenige Giftmenge, die gerade hinreicht, um ein Meerschweinchen von 250 g in 4 Tagen zu töten. Enthält eine Toxinlösung in einem Kubik¬ zentimeter 100 Toxineinheiten, so bezeichnet man sie als Normalgiftlösung. Ein Heil¬ serum, von dem gerade 1 ccm imstande ist, die Wirkung von 1 ccm Normalgiftlösung zu neutralisieren, wird als Hormalserum bezeichnet. Sein Gehalt an Antitoxin im Kubik¬ zentimeter stellt eine „Immunitätseinheit“ (1 I.E.) oder „Antitoxineinheit“ (1 A.E.) vor. Eine Flasche Diphtherie-Heilserum z. B. mit 5 ccm ,,400fachen Serums“ enthält also 2000 A.E., oder mit 10 ccm ,,1000fachen Serums“ enthält 10000 A.E. Es versteht sich von selbst, daß eine Heilseruminjektion bei Diphtheriekranken nach allen Regeln der Asepsis ausgeführt werden muß. Spritze und Kanüle werden durch Auskochen keimfrei gemacht, die Haut an der Injektionsstelle wird sorgfältig mit Alko¬ hol und Äther gereinigt oder mit Jodtinktur desinfiziert. Die Injektion ist intramuskulär (in den oberen äußeren Quadranten der Gesäßmuskula¬ tur oder in den Quadrizeps) zu machen. Die subkutane Injektion ist unzweckmäßig, da die antitoxische Wirkung des Serums hierbei erheblich langsamer eintritt. Die intra¬ venöse Injektion wird man nur bei schwersten, bedrohlichen Zuständen vornehmen. Sie ist zumeist nicht erforderlich und nicht unbedenklich. Die erste Hauptbedingung für eine eintretende Heilwirkung ist die mög¬ lichst frühzeitige Anwendung des Heilserums. Man soll daher auch in zweifel¬ haften, schweren Fällen nicht erst das Ergebnis der bakteriologischen Unter¬ suchung abwarten, sondern die Serumeinspritzung sofort machen. Was die Dosierung anbetrifft, so lassen sich natürlich ganz strenge Hegeln nicht auf stellen. Im allgemeinen gebraucht man jetzt höhere Dosen als in der ersten Zeit der Serumbehandlung, zumal seit der Einführung der hoch¬ wertigen Sera durch die Höchster Farbwerke u. a. Bei leichten Fällen injizieren wir 3000—4000 A.E., bei schwereren Fällen 4000—6000, bei ganz schweren 8000 — 12000. Namentlich bei beginnender Kehlkopfdiph¬ therie sind möglichst bald hohe Dosen zu geben, ebenso wenn die Kinder erst nach dem 3. oder 4. Krankheitstage in die Behandlung kommen. Die Kinderärzte geben in leichten Fällen 100 A.E. auf jedes Kilogramm Körpergewicht des Kindes. Bei schweren Diphtherieformen soll je nach dem Grade der Krankheit bis zu 500 A.E. auf jedes Kilogramm injiziert werden. Im allgemeinen ist es überflüssig, die Injektion in den folgenden Tagen noch einmal oder mehrere Male zu wiederholen. Nur in schweren Fällen in¬ jiziert man, wenn nach 16—24 Stunden noch keine Wirkung eingetreten ist, dieselbe Menge noch einmal. Der Erfolg tritt in leichten und auch in vielen mittelschweren Fällen deutlich hervor: das Fieber sinkt rasch ab, die örtliche Erkrankung schreitet nicht fort, die Beläge stoßen sich schnell ab, und in kurzer Zeit tritt Heilung ein. Auch bei schweren Erkrankungen ist nach der