Volume 2

Geschlechtskunde auf Grund dreissigjähriger Forschung und Erfahrung bearbeitet / von Magnus Hirschfeld.

Hirschfeld, Magnus, 1868-1935.

Date:: 1926-30

Catalogue details

Licence: Attribution-NonCommercial 4.0 International (CC BY-NC 4.0)

Credit: Geschlechtskunde auf Grund dreissigjähriger Forschung und Erfahrung bearbeitet / von Magnus Hirschfeld. Source: Wellcome Collection.

645/676 (page 633)

bieten Süddeulschlands, sowie die meisten anderen Kulturvölker in der Mehrzahl einen breiten Schädel, während bei Negern, Australiern, Zigeunern und Eskimos lange Schädel häufiger sind. Wir können in dieser Frage völlig K. F. Wolff beistimmen, der in seiner „Rassenlehre“ sagt, daß der Längen-Breiten-Index keinesfalls die Menschenarten trennt, sondern inner« halb aller Menschenarten mit einer Schwankungsbreite von 65—100 variabel (= ver- schieden) ist; bei den meisten Menschen aller Rassen hat der Längen«Breiten«Index mitt¬ lere Werte. Charakterologisch sind, wenn überhaupt, die Schmalgesichter und Breit¬ gesichter nur nach den von Kretschmer und anderen aufgestellten individuellen Körper- bautypen zu beurteilen, über die wir uns bereits früher ausgesprochen haben. Es liegt an dem symmetrischen Bau des Knochengerüstes, daß die Rundköpfe bei den Pyknikern, die Langköpfe bei den Leptosomen überwiegen, doch sind weder diese Kopf» noch Körperformen irgendwie rassegebunden. Neben der Kopfform spielt auch das übrige Gesicht und in diesem namentlich die Nase bei allen Rassentheoretikern eine grobe Rolle; es sei nur an die griechische und die „Judennase“ erinnert. Von letzterer gibt Günther an, daß sie die Gestalt einer „6* habe, sich aber seltener vorfinde, als man gewöhnlich annimmt, beispielsweise in Galizien (wo sich die Juden am unvermischtesten erhalten haben) nur bei 9 Prozent der Jüdischen Be¬ völkerung vorkomme. Solche Ziffern haben immer nur dann einen Wert, wenn man in der Lage ist, ihnen aus anderen Kreisen der Bevölkerung Vergleichszahlen entgegen¬ zustellen. Man kann sich dann oft überzeugen, wie leicht auffallende Typen an Zahl über¬ schätz werden, einfach aus dem Grunde, weil sie auffallen. Ich will aus eigener Erfah¬ rung eine Stichprobe anführen. Ich wohnte einem Prozeß bei, in dem drei Personen deutschvölkischer Richtung des Mordversuchs an einem bekannten General angeklagt waren. Während der mehrtägigen Verhandlung stellte ich „Rassenstudien“ an, die folgen¬ des Ergebnis hatten. Unter den wegen versuchten „Fememords“ (auch einer der vielen traurigen Folgeerscheinungen des Krieges) Angeklagten und den auf ihrer Seite stehen¬ den Entlastungszeugen und Verteidigern, im ganzen 16 Personen, hatten 3 blonde, 13 dunkle Haare, 8 gerade, 6 leicht und 2 stark gebogene Nasen, 4 waren groß, 5 klein, 7 mittelgroß. Mit diesen verglich ich 16 jüdische Herren, teils Pressevertreter, teils An¬ wälte, die vorübergehend der Verhandlung beiwohnten. Unter ihnen waren 7 blond» 9 geradnasig, 6 groß. Im ganzen war der „arische“ Typus auf jüdischer Seite wesentlich stärker vertreten als auf völkischer. Allerdings kam in der Verhandlung zur Sprache, daß einige der Zeugen „Halbblut“ seien. Darunter wurden in diesem Falle Abkömm¬ linge aus christlich-jüdischen Mischehen verstanden. Im Anschluß hieran noch wenige Worte über das Blut als Rassenmerkmal. Sehr richtig bemerkt schon Schallmayer: „Die Bezeichnung,Blut4 für Erbverfassung entsprang der ganz veralteten Vorstellung, daß das Blut mehr als andere Bestand* teile des Leibes Träger der Erbeigenschaften sei. Es wäre wünschenswert, daß man diese Bezeichnung fallen ließe.“ Troßdem man seit langem auch in Laienkreisen weiß, daß das, was das Wesen des Menschen ausmacht, in der Gesamtheit seiner Zellen ruht, die durch fortgeseßte Teilung aus der befruchteten Eizelle entsteht, daß in dieser Erstzelle das ganze Erbgut des Menschen enthalten ist, läßt sich der Glaube scheinbar nicht ausrotten, daß die körperseelische Besonderheit des Menschen in