Über psychopathische Minderwertigkeiten / von Otto Gross.

  • Gross, Otto, 1877-1920
Date:
1909
Catalogue details

Licence: In copyright

Credit: Über psychopathische Minderwertigkeiten / von Otto Gross. Source: Wellcome Collection.

    59/136 (page 49)
    der Allgemeinheit zu fühlen beginnt. Erst dieser innere Konflikt ist es, der eigentlich pathogen zu wirken vermag. Unsere Frage lautet also: welche typi- schen ideellen Momente sind darnach angetan* das Individuum in Konflikt mit sich selbst zu bringen? Es ist in erster Linie das große Gebiet der Sexualität, auf welchem ideelle Momente zu ganz besonders wichtiger pathogener Bedeutung gelangen. Hier steht ein stärkster, das ganze Seelenleben, besonders der Jugendjahre, durchsetzender Impuls in unbedingtem Gegensatz mit den kräftigsten Suggestionen sozialen resp. moralischen Inhalts. Das gilt natürlich ganz beson- ders b e i mi Weib.28) Man darf wohl sagen — um nur das für uns Wichtigste herauszugreifen — daß seelische Morbidität, daß p a- tho l.o gische Verzerrung der Persönlichkeit, so wie sie uns als hysterischer Charakter und als noch feinere und weniger merkliche pathologische Depravation begegnet — daß alle diese so überaus verbreiteten, spezifisch weiblichen Psychopathien auf jenen stereotypensexu- ellen Konflikt zurückzuführen sind. Das Dominierende in der psychischen Entwicklung des Weibes — und in erhöhtem Maße des Weibes aus den höheren Ständen — ist dieUnmög- lichkeit, eine umifassende und zusammenhän- gende Einheitlichkeit der inneren Vorgänge zu begründen, einellickenloseKontinuität des seelischen E r 1 ei bi e n s herzustellen. Denn die Suggestionen, aus denen sich von Kindheit an das ethische Milieu der Frau zusammensetzt — dieser beherrschende Wertkomplex ist inhaltlich unvereinbar mit den stärksten und ein- dringlichsten Trieben und Regungen. Die ganze plastische Kraft 28) Dieses wird auf sexuellem Gebiet von weitaus mehr Gegen- suggestionen beeinflußt als der Mann. So wird auch begreiflich, daß die spezi- fische Morbidität bei Frauen an Hysterie nicht durch eine Disposition des Geschlechtes bedingt wird, sondern durch den Inhalt der allgemeinen sexual- moralischen Ideen. — Die Annahme einer geringeren Intensität der sexuellen Triebe bei der normalen Frau entspricht nicht den Tatsachen. Starke Sexua- lität beim Weibe ist nicht Symptom einer neuropathischen Veranlagung, sondern oft Ursache einer nervösen Erkrankung, indem sie heute oft zum Anlaß besonders intensiver Konflikte werden kann. Gross, Psychopatbische Minderwertigkeiten. a