Chirurgische Technik; Ergänzungsband zum Handbuch der kriegschirurgischen Technik enthaltend die übrigen Operationen / von Fr. von Esmarch und E. Kowalzig.

  • Esmarch, Friedrich von, 1823-1908.
Date:
1892
    4. Spaltung der Cyste in der Linie des Hautschnitts, Ausräumung, Tamponade. Bei grösseren Cysten resecirt man, wenn nöthig, das freiliegende Stück der vorderen Wand; bei sehr grossen genügt unter Umständen die doppelte Drainage ohne Spaltung. Beträchtliche parenchymatöse Blutungen (bei Struma cystica parenchymatosa Stromeyer) stillt man durch feste Tamponade mit Jodoform, Wasserstoffsuperoxyd- oder Chlor- zinkgaze. Ist die Exstirpation isolirter Cysten leicht auszuführen, so verdient sie vor der Spaltung den Vorzug. (ITüller.) 4. Die Totalexstirpatioii der Struma (Kocher, Billroth) ist nach den bisherigen Erfahrungen nur noch bei maligner Entartung (Sarcom, Carcinom) erlaubt, da in Folge der Operation epileptische Krämpfe, Lähmung der Kehlkopfmuskulatur, Kachexie, Myxoedem, Tetanie und Idiotismus drohen (Kachexia thyreopriva Kocher). Kocher verfährt folgendermassen: 1. Hautschnitt, je nach dem Sitze und der ^^' Grösse der Geschwulst in der Mittellinie des Halses oder am inneren Rande des Kopfnickers entlang, bei sehr grossen Kröpfen Winkelschnitt oder Thürflügel- schnitt. Ein einfacher Querschnitt liefert eine am wenigsten sichtbare Xarbe. 2. Xach Trennung des Platisma und der Fascia superficialis und doppelter Unterbindung und Durch- schneidung aller sichtbaren Gefässe werden auch, wenn nöthig, die Musculi sternohyoidei, sternothyreoidei, omohyoidei in der Mittellinie getrennt und in der Nähe des Ansatzes am Kehlkopf, wenn möglich nur t h e i 1 - weise, quer getrennt. Der Kopfnicker wird mit stumpfen Haken seitwärts gezogen; die Kropfkaj^sel liegt nun frei vor und wird zunächst nicht gespalten. 3. Unterbindung der Arteria und Vena thy- reo i d e a s u j) e r i 0 r. Man findet sie an der obersten Spitze des Oberhorns, wenn man die Gefässe auf der Kropfsonde .... nach Vorderfläche verfolgt, isolirt sie mit der .,Kropfsonde" Kocher.
    nacli Kocher (Fig. 292) uud durchschneidet sie nach doppelter Unterbindung. Nachdem auch sämmtliche übrigen, sichtbar werdenden Ge- fässe doppelt unterbunden sind, wird der Tumor medianwärts herausgewälzt und die seitliche und hintere Fläche desselben losgelöst; die Capsula externa (nicht die j^ropria) wird ge- sp alten. Fig. 293. Fig. 294. Rechtsseitige Struma, die Verästelung der oberflächlichen Venen zeigend (uach Koc herj. Schema der bei Kropfexstirpation nbthigen Unterbindungen grösserer Venen (nach Kocher). 1. A. u.V. thyreoidea sup. 2. V. thyr. sup. access. 3. V. thyr. inf. access. 4. V. thyr. inf. 5. V. thyr. ima princeps u. access. 4. Der Stamm der Arteria thyreoidea inferior, welcher in der Rückwand der Wundhöhle liegt, wird möglichst weit nach aussen gegen die Carotis zu verfolgt und nach doppelter Unterbindung d u r c h t r e n n t. Der Nervus recurrens, welcher quer über das Gefäss verläuft, ist sorgfältig zu schonen.
    Der Nervus recurrens nervi Vagi sive X. laryngeus in- ferior entspringt rechts unter der Art. subclavia , links unter dem Arcus aortae aus dem Vagus, steigt hinter diesen Ge- fässen in der Rinne zwischen Trachea und Oesophagus hinter und niedianwärts von der Caro- tis communis aufwärts zum unteren Rand des M. crico- pharyngeus. Unter diesen eintretend, gelangt er von hinten her über den oberen Rand des Ligam. crico- thyreoideum laterale in Begleitung der Art. thyreoidea inferior in das Kehlkopfinnere (Fig. 295). 5. An der Rückseite des TII m 0 r s dringt man stumpf gegen die Mitte . nach der Trachea vor. Loslösung und Durchtrennung des Isth- Fig. 295. mus nach sorgfältiger Unter Kehlkopf und Trachea mit den benachbarten Gefässstämmen von hinten gesehen: Verlauf der N. recurrentes. •bindung aller Gefässe. 6. Die Haut wird über der entstandenen grossen AVund- höhle wieder vereinigt und drainirt. Unter Druckverband kann die Heilung in 1—2 AYocben erfolgen. 5. Die Resection des Kropfes (Miculicz) bezw^eckt die durch die Totalexstirpation bedingten Uebelstände (Recurrenslähmuug. Kachexie) dadurch zu beseitigen, dass die ge- sunde Kropfhälfte oder wenigstens das Stück der zu entfer- nenden Hälfte, welches den X. recurrens bedeckt, zu- rückgelassen wird. Xach Trennung der Haut, Muskeln und Fascien w^ird die eine Kropfhälfte stumpf isolirt; am Oberhorn werden die Ar t. un d V e n a thyreoidea sup., am Unterhorn nur die oberflächlichen Gefässe unterbunden: der stumpf von der Trachea abgelöste Isthmus wird nach doppelter Massenunterbindung durchtrennt und nun der zu resecirende Seitenlappen an der vorderen und seitlichen Fläche der
    Trachea mit der Scheere gelöst; der im Winkel z w i s c li e n Trachea und Oesophagus sitzende Theil bleibt da- bei zurück und wird mit Hülfe von starken Klemmzangen, welche das Parenchym herausquetschen, mit starken Catgutfaden zusammengeschnürt und in mehreren Abschnitten durch Massenligaturen wie ein Stiel abgebunden. Um die Ablösung der Geschwulst von der Seitenfläche der Trachea und die bei Anwendung der Ma s s enligatur zu tu rchtende Quetschung des N. recurrens zu vermeiden, um - schnitt Kocher durch einen senkrecht (sagittal) stehenden Kreis- schnitt die Drüsenkapsel in der Nähe des Isthmus (Hilus). Doch muss der obere Abschnitt des Kreises völlig oberhalb des E^ingknorpels liegen. Hierdurch ist eine Verletzung des X. recurrens fast ausgeschlossen. Aus dem zurück- bleibenden Stumpf wird schliesslich ein dem normalen ähnlicher kleiner Schilddrüsenlappen geformt. 6. Die Enucleation (Ausschälung) oder intraglanduläre Exstirpation (Porta, So ein) bei Cysten und bei gut abgegrenzten parenchymatösen Knoten. Nach Spaltung der Haut, Fascie, Kapsel (capsula externa s. fasciosa, tiefe Halsfascie) und des darüberliegenden (gesunden), aber verdünnten Drüsengewebes (capsula glandu- laris, Drüsenkapsel) werden die einzelnen Knoten stumpf herausgeschält. Dies gelingt bisweilen noch rascher, wenn man sofort den Knoten durch einen tiefen Schnitt in zwei Theile spaltet und jede Hälfte mit Fingern und scharfem Löffel herausgräbt (Evacuatio Kocher), doch kommt es dabei oft zu sehr be- trächtlicher Blutung. Natürlich können in geeigneten Fällen die ebenbeschriebenen Methoden der Resection und Enucleation zweckmässig mit einander verbunden werden. Noch zweckmässiger scheint es (nach Böse), durch einen kleinfingerdicken elastischen Schlauch hinter dem grössten Durch- messer die Geschwulst zusammenzuschnüren, wodurch die Blutung verhindert und zugleich nach Spaltung der Kapsel das Kropf- gewebe aus der "Wunde hervorgepresst wird.
    7. Die Unterbindung der zuführenden Arterien (Porta, "Wölfler). bei Struma vasculosa und Morbus Basedowii. a) Unterbindung der Art. thyreoidea superior. 1. Haut schnitt, 4 cm lang am inneren Haude des Kojjf- nickers über das grosse Hörn des Zungenbeins bis zum Scliildknorj)el. 2. Spaltung des Platysma. Man findet die Arterie vor dem grossen Hörn des Zungenbeins in dem Dreieck zwischen M. o m o h v o i d e u s, d i g a s t r i c u s und s t e r n o c 1 e i d o - ma st oi d eus. Fig. 296. lar.siip. thyr.siip. cvicoilujr. In r. in f. ilujr. ivif. Schema der den Kehlkopf und die Schilddrüse versorgenden Arterien. b) Unterbindung der Art. thyreoidea inferior. 1. Hautschnitt, 6 cm lang in dem Spalt zwischen den beiden Köpfen des Kopfnickers. 2. Trennung des Platysma, Unterbindung der Vena transversa colli, V. transversa scapulae, V. jugu- laris externa; Spaltung der Fascia colli j)i'ofunda; Auf- schlitzen des Kopfnickers nach oben zu. 3. Der sehnige Theil des M. o m o h y o i d e u s erscheint in der Mitte der AVunde und wird nach aussen gezogen oder durch- schnitten. Die nun sichtbare Vena j u g u 1 a r i s interna wird medianwärts gezogen: man sieht die Carotis, den N. vagus und den M. scalenus anticus, von Zellgewebe und Fascie bedeckt.