Medicin und Religion in ihren gegenseitigen Beziehungen : geschichtliche Untersuchungen / von Hugo Magnus.

  • Magnus, Hugo, 1842-1907.
Date:
1902
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Credit: Medicin und Religion in ihren gegenseitigen Beziehungen : geschichtliche Untersuchungen / von Hugo Magnus. Source: Wellcome Collection.

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    heit stets wach geblieben. Allein mit Beginn des ii. Jahrhunderts bemerken wir ein ganz auffallendes Wachsthum desselben. Besonders war es der Teufel, welcher in den verschiedensten Formen und Gestalten die Christenheit ängstigte, und Priester wie Mönche konnten die entsetzlichsten Dinge von dem üblen Treiben des Satans berichten. Der fromme Cistercienser Mönch Cäsarius weiss in seinem Dialogus miraculorum zahllose Erzählungen vom Teufel und bösen Geistern mitzutheilen (Hansen Seite 124). Und mit dem Erstarken der Scholastik erreicht dieser Geisterglauben seinen Höhepunkt. Gleichzeitig mit diesem Wahn macht sich eine zeitweise bis zur Ekstase sich steigernde Erhitzung des religiösen Gefühls bemerkbar. Welche Höhe diese religiöse Entflammung der Gempther erreichte, zeigen ja die wiederholten Kreuzzüge am Besten. Es gleichen also die Verhältnisse im II. und 12. Säculum denen in den ersten christlichen Jahrhunderten auf ein Haar. Hier wie da ein lebhafter Geisterglauben und hier wie da ein über die Maassen gesteigertes religiöses Gefühl. Da nun diese Combination im Beginn des Christenthums die Besessenheit erzeugt hatte, so musste die nämliche Combination im II. und 12. Jahrhundert natürlich auch die nämlichen Consequenzen zeitigen. Und so findet denn der Hexenwahn am Ausgang des Mittelalters sein Analogon in der in den ersten christlichen Jahrhunderten grassiren- den Besessenheit. Wir haben also hier auch wieder einen Fall von culturellem Atavismus, wie wir ihn bei Besprechung der Gebetsheilungen (siehe § 10, Seite 56 dieser Arbeit) bereits be- obachtet hatten. Aber ein bedeutender Unterschied macht sich hier in diesem Fall doch bemerkbar. Das junge Christenthum verfuhr gegen die Besessenen in liebevoller Milde; es sah in ihnen bedauernswürdige, von schwerem Leid geplagte Gläubige, während das Mittelalter dagegen in den vom Bösen Befallenen Ketzer witterte, gegen die mit den allerstrengsten Mitteln vorgegangen werden musste. Der Begriff der christlichen Liebe, wie ihn die eisten chiistlichen Jahrhunderte in so edler Reinheit zeigten, scheint in der zweiten Hälfte des Mittelalters denn doch eine be- denkliche Verschiebung erlitten zu haben. Und dieser Umstand bewirkt es, dass das Besessensein eine im Grunde genommen unschuldige, der Hexenwahn aber eine der entsetzlichsten Er- scheinungen in der Geschichte der Medicin bildet.