Medicin und Religion in ihren gegenseitigen Beziehungen : geschichtliche Untersuchungen / von Hugo Magnus.

  • Magnus, Hugo, 1842-1907.
Date:
1902
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Credit: Medicin und Religion in ihren gegenseitigen Beziehungen : geschichtliche Untersuchungen / von Hugo Magnus. Source: Wellcome Collection.

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    theurgischen mit dem wissenschaftlichen Charakter. koischen Vorhersagungen des Corpus hippocraticum oder in dem Papyrus Ebers einzelne Stücke bis auf unsere Zeit gekommen sind. Uebrigens hatten diese medicinischen Compendien — wenn man sie mit diesem Ausdruck belegen darf — Jahrhunderte lang nur eine streng esoterische Bedeutung; sie waren ausschliesslich für die Unterweisung und Belehrung der Priester bestimmt und jedem Ungeweihten schlechterdings verschlossen. Auch hatte man ihnen den profanen Charakter vollkommen genommen, indem man sie für directe Aeusserungen resp. Offenbarungen der Götter und dem- gemäss für heilig ausgab. Sothane Heiligkeit der Tempelbücher hatte nun für den Priester ganz gewiss recht bedeutende Vortheile im Gefolge, denn sie liess denselben ja auch in medicinischer Hinsicht als unmittelbaren Vollstrecker des göttlichen Willens er- scheinen. Aber sie brachte auf der anderen Seite auch wieder schwer wiegende Nachtheile. Denn da die medicinischen Tempel- bücher als unmittelbare Mittheilungen der Götter galten, vertrugen ihre Vorschriften auch nicht die geringste Abweichung. Dem Priester war es nicht gestattet die Behandlung eines Kranken ent- sprechend den Eigenartigkeiten des einzelnen Falles oder in Ueber- einstimmung mit der Auffassung, welche er von der jeweiligen Erkrankung gewonnen hatte, zu bringen; vielmehr musste er streng nach den Regeln des heiligen Buches verfahren. Auch nicht ein Tüpfelchen von dem, was die Tempelbücher lehrten, durfte bei der Behandlung übersehen oder nach dem freien Willen des Priesters geändert werden. War alles während der Behandlung nach den Regeln der Tempelbücher geschehen, so konnte dem Priester aus dem Erfolg der Cur kein Vorwurf erwachsen; starb der Kranke, so hatte es eben der Wille der Götter so und nicht anders be- stimmt. Starb aber der Kranke und konnte dem behandelnden Priester auch nur die geringste Abweichung von dem, was die heiligen Bücher sagten, nachgewiesen werden, so stand es schlimm um ihn. Mit Leib und Leben strafte das Tempelgesetz den Vor- witzigen; denn im Punkte der unbedingtesten Subordination ver- stand man damals keinen Spass. Der religiöse Cultus hatte sich mit der Medicin ja nicht verbündet, um einen selbstständig denkenden und nach freiem Ermessen handelnden Arzt zu schaffen, sondern er wollte aus dieser Verbindung nur eine Combination von Priester und Arzt hervorgehen sehen, in welcher allzeit der blind den heiligen Brüdern folgsame Priester die erste und alleinige