Die Pathologie und Therapie der Neurasthenie : Vorlesungen für Studierende und Aerzte / von Otto Binswanger.

Binswanger, Otto, 1852-1929.

Date:: 1896

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Credit: Die Pathologie und Therapie der Neurasthenie : Vorlesungen für Studierende und Aerzte / von Otto Binswanger. Source: Wellcome Collection.

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Schülerüberbttrdung. sind nur wirksamer, weil sie auf das jugendliche Gehirn ein- stürmen. Nicht die Anforderungen der Schule, sondern die mannig- fachen zerstreuenden, den Intellekt und das Gemüt erregenden Ein- wirkungen des städtischen Lebens tragen die Hauptschuld an der Ueberbürdung des jugendlichen Gehirns. . t t .ik.v,^. Ich glaube, man muß noch weiter zurückgehen, auf die kindliche EntWickelung, um den Einfluß dieser „Kultursünden vollauf würdigen zu können. Bedenken Sie, unter welchen Außenumständen die Kinder in unseren großen Städten aufwachsen. Die Sinnesorgane, besonders das Gehör wird durch den betäubenden Lärm der Straße unauthor- lich gereizt. Schon frühzeitig werden die Kinder zu den Ver- gnügungen der Erwachsenen herangezogen. Durch Theater, Kon- zerte, Kinderbälle wird die Phantasie mit Bildern und Erleonissen bevölkert, die das Gemüt erregen, die intellektuellen Kraite zer- splittern und eine methodische Uebung des Geistes erschweren Der Nachtschlaf wird verkürzt, die Erholungszeit für Körper und Geist fällt weg. Wann tummeln sich diese frühreifen Großstadt- kinder in Wald und Feld umher? Wann erquicken sie ihre Seelen und üben ihre Sinne an den reichen Schätzen der Natur? Wann stählen sie ihre Muskeln in jugendfrohen Wettspielen mit ihren Alters- genossen? Wo sammeln sie die Spannkraft für die Anforderungen der Schule? ^ . n £ ^ Ein hervorragender Schulmann machte mich darauf aufmerksam, daß nach seiner Erfahrung besonders diejenigen Schüler den Anfor- derungen des Unterrichts nicht gewachsen sind, deren körperhche EntWickelung und Ernährungszustand zurückgeblieben ist. Entweder handelt es sich um konstitutionell schwächliche, belastete und krank- haft veranlagte Knaben oder um solche, welche, aus dürftigen Lebens- verhältnissen stammend, Mangel und Entbehrungen ausgesetzt sind. Bei dem Zudrange von Schülern aus den unbemittelten Gesellschafts- klassen, in welchen infolge der unhygienischen Lebensbedingungen Rachitis, Skrofulöse und Tuberkulose den kindlichen Organismus in gehäuftem Maße heimsuchen und eine unzweckmäßige dürftige Er- nährung die körperliche Entwickelung verkümmern läßt, ist diese Gruppe von Schülern nach Ansicht meines Gewährsmannes noch im Zunehmen begriffen. Hier liegen die letzten Ursachen der sog. Ueberbürdung; die Schule arbeitet mit einem Schülermaterial, das vielfach unausgeschlafen, schon ermüdet zur Schule kommt und den Kopf mit anderen Interessen er- füllt hat. Abgespannt, freudlos bemüht sich der Schüler vornehmlich unter dem Drucke der Extemporalien und wöchentlicher Censuren, ■ dem Schulpensum gerecht zu werden; die jugendliche Kraft hält einige Jahre vor, doch in den oberen Klassen, in der Pubertätszeit erfolgt der Zusammenbruch. Damit hängt auch die Erscheinung zusammen, daß gerade an der Klippe der Unter- und Obersekunda so mancher nervöse Junge scheitert. Man wird mir einwenden können, daß diese Schilderung zu düster gefärbt sei. Ich bin auch gern bereit, einzuräumen, daß sie nur für gewisse großstädtische Centren in vollem Maße zutreffend ist und daß auch hier nur ein Bruchteil der Schüler solchen gehäuften Schäd- lichkeiten ausgesetzt ist. Aber die sog. Ueberbürdung trifft auch nur einen gewissen Prozentsatz der Schüler, und gerade dieser wird, was ich eben auf Grund meiner ärztlichen Erfahrungen nachweisen wollte,