Kritische Psychiatrie : Kantische Studien über die Störungen und den Missbrauch der reinen speculativen Vernunft / von Max Herz.

Date:
1895
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Credit: Kritische Psychiatrie : Kantische Studien über die Störungen und den Missbrauch der reinen speculativen Vernunft / von Max Herz. Source: Wellcome Collection.

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    Eine Keibe vou Geistesstörungen zeigt einen vollständigen Mangel aller Prüfung des Gedankeninbaltes (Verwirrtheit, Blödsinn), während im Gegensätze hiezu eine besondere Kategorie von Ki-anken zu keiner Erkenntnis gelangt, Aveil ein zu weit getriebener Zweifel die Kritik herausfordert, welche zu endloser Ueberlegung iind Untersuchung der einfachsten und klarsten Vorstellungen und Begriffe führt. Dass die Lähmung der hier betrachteten Geistesthätigkeiten nicht auf einmal erfolgen muss, zeigen die Anfangsstadien der Amentia. Ohne Ueberlegung Avird rasch ein Urtheil gefällt; aber es stellt sich sofort eine richtige Kritik ein, vor Avelcher das Urtheil nicht bestehen kann, Avas einen peinlichen Zwiespalt in dem Bewusstsein des Kranken her- vorruft. Dem Paralytiker, welcher seine Situation und seine Zukunftspläne mit grosser Sorgfalt ausinalt, ist ein geAvisses Maass von Ueberlegung nicht abzusprechen, aber seine scliAvache Urtheilskraft, die mannigfache Irrthümer begangen hat, welche das Krankheitsbild der Paralyse zu einem so charakteristischen machen, folgt auch nicht die Andeutung einer A'ernünftigen Kritik, die die Haltlosigkeit des ganzen Hirngespinnstes ergeben würde, ebenso wenig wie eine Untersuchung der Gründe. Ohne Kritik geht auch der Paranoiker vor, aber er lässt eine ein- gehende Untersuchung der Stützen seiner angeblichen Wahrheiten folgen. Mit der Kraft eines Axioms, Avelche jede Kritik ausschliesst, drängt sich ihm eine Erkenntnis auf. Er ist anfangs erstaunt, viel- leicht bestürzt, zweifelt aber keinen Moment an der Eichtigkeit der- selben. Nun beginnt die Untersuchung der zwar überraschenden, aber bald selbstverständlichen Thatsachen auf eine Art, wie Avir die Gründe für die Thatsache suchen würden, dass zwei parallele Linien sich nicht treffen können, was Jedem sofort einleuchtet, Avenn er es das erstemal hört, was aber erst dann zum sicheren geistigen Besitze wird, wenn es bewiesen ist. Erst der Beweis genügt dem natürlichen Bedürfnis, nach den Gründen auch der einfachsten Wahrheiten zu suchen. Auch dem Paranoiker ist sein Wahn sofort nach seinem Entstehen einleuchtend und klar, aber erst mit der Zeit lernt er ihn begründen und weiter- hin die für sein Geistesleben so A^erderblichen Schlüsse ziehen. Er fälscht sein ganzes Denken nur, um das zu stützen, was für ihn evi- denter ist, als das Zeugnis seiner noch gesund gebliebenen Sinne. Eine merkAvtirdige Treffsicherheit der Urtheilskraft bei aufiallend kurzdauernder Ueberlegung, das, was man gemeinhin als Schlag- fertigkeit bezeichnet, ist nicht selten in dem überaus raschen Ge- dankenfluss Manischer zu bemerken. 3. Wie erwähnt, ist es das bedeutungsvollste Geschäft der Ueber- legung, einer Erkenntnis ihren transscendentalen Ort zuzuAveisen, d. h. zu bestimmen, ob sie lediglich Im BeAAmsstsein existire als ein Gedachtes (Noumenon) oder ob ihr auch reale Geltung zukomme als eine Er- scheinung (Phaenomenon). Die Seltenheit eines Missgriffes nach dieser Eichtling Avnegt die Urtheilskraft so sehr in Sicherheit und Selbst- vertrauen ein, dass sie meist dem ersten Betrug der Sinne sofort und