Grundlagen, Aufgaben und Grenzen der Therapie : nebst einem Anhange : Kritik des Koch'schen Verfahrens / von O. Rosenbach.

  • Rosenbach, O. (Ottomar), 1851-1907.
Date:
1891
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Credit: Grundlagen, Aufgaben und Grenzen der Therapie : nebst einem Anhange : Kritik des Koch'schen Verfahrens / von O. Rosenbach. Source: Wellcome Collection.

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    Um aber auch für die Aerzte das Verfahren plausibel zu machen, musste eine exspectativ wirkende Schule vorher einflussreich gewesen sein; auch musste für sie erst das Material zu einer anscheinend wissenschaftlichen Begründung der neuen Behandlungsmethode geliefert werden. Dies fand sich in einer Reihe klinischer und physiologischer Studien. Nachdem durch exacte Untersuchungen der Nachweis geliefert worden war, dass das hervorstechendste Symptom des fieberhaften Krankheitsprocesses, die Erhöhung der messbaren Körperwärme, bei bestimmten Erkrankungen eine gewisse Regelmässigkeit zeige, wurden auch gleich Formeln aufgestellt, Schemata und Typen, unter denen die Durchschnitts- ergebnisse sich dem Auge und dem Gedächtnisse leicht einprägten, und entsprechend der Neuheit der Errungenschaft wurde die Bedeutung des Hauptsymptoms, die ja von Niemandem unterschätzt werden kann, für Diagnose und Prognose über alles Mass erhoben. Die hervorragendste Erscheinung, die Steigerung der Körperwärme, wurde in übertriebenster Weise als das pathognomonische Symptom, als das Wesen aller fieberhaften Processe, als die Krankheit selbst angesehen. Damit war die wissenschaftliche Basis für die antithermische Therapie gegeben; diese schien um so berechtigter, als gerade damals die TRAUBE'sche Fiebertheorie, die mit genialem Scharfblicke die Temperaturerhöhung als durch Verminderung der Wärmeabgabe bedingt erklärte, aufgestellt war, und somit der Weg für die Therapie vorgezeichnet schien, diese Wärmeaufspeicherung durch vermehrte Wärmeabgabe zu compensiren. So wurden die Aerzte, die des Nihilismus überdrüssig waren, durch die Schafi'ung der für sie nothwendigen wissenschaftlichen Unterlagen für die neue Behandlung gewonnen, und es entspann sich, durch die, auch der neuen Therapie lächelnde, Sonne der Statistik gefördert, ein förmlicher Wettstreit darüber, welche In- und Extensität energischer Massnahmen nöthig sei, um die Temperatur dauernd unter einen bestimmten, willkürlich fixirten, Temperaturgrad hinunterzudrängen. Sei es nun, dass die Behandlung mit kaltem Wasser noch zu wenig eingreifend und allzu wenig wirksam erschien, sei es, dass die grosse Zahl der Bäder, die oft nothwendig wurde. Manchen in Betreff der Leistung des Verfahrens stutzig machte, man verlangte, nachdem auch die Cumulation von Bädern, Digitalis und Chinin den antithermischen Anforderungen nicht mehr genügte, nach kräftigeren Fiebermitteln, und es begann nun jene Ueberproduetion von temperaturherab- setzenden Chemikalien, die noch jetzt kaum ihr Ende gefunden hat, nachdem der Nachweis erbracht ist, dass die Herabsetzung der Temperatur durch Medicamente — ganz abgesehen davon, dass sie recht grosse Gefahren, die von den gebrauchten Mitteln abhängen, mit sich führt — durchaus nicht identisch ist mit einer Beeinflussung des fieberhaften Processes, dass sie wahr- scheinlich nicht einmal ein Hauptsymptom desselben zum Gegenstande hat, indem sie noch dazu Ursache und Folge, äussere Erschei- n u n g und Wesen des Vorganges verwechselt. *) Wir kommen darauf noch zurück. So ist auch hier auf eine äusserst active Therapie eine mehr und mehr zurück- haltende schon gefolgt, und die treuesten Anhänger der früheren Methode wenden die Fiebermittel nur noch intermitlirend, gleichsam um den Rückzug zu decken, und den Wünschen der Patienten, dass gegen ihr Fieber etwas geschehe, folgend an. Leider kann man auch hier sagen : „Die ich rief, die Geister, werd' ich nicht mehr los ; denn die, sehr beträchtlich hinter den Anschauungen der Aerzte nach- hinkende, Ansicht der Laien kann sich von der früher ärztlich sanctionirten Fieber- theorie und Fiebertherapie noch nicht losmachen und verlangt noch immer Bekämpfung des Fiebers. Der alte Erfahrungssatz, dass Laienmedicin nichts Anderes ist, als die ärztliche Ansicht einer früheren Periode, hat hier wieder seine Giltigkeit bewiesen, denn für den Laien ist jetzt der *) 0. ßosenbach, Artikel „Thermometrie in Eulenburg's Real-Encyclopädie der gesammten Heilkunde.