Grundriss der pathologischen Anatomie / von Gotthold Herxheimer.

Herxheimer, Gotthold, 1872-1936.

Date:: 1932

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Credit: Grundriss der pathologischen Anatomie / von Gotthold Herxheimer. Source: Wellcome Collection.

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nicht die einfache Folge äußerer Einwirkung ist; ebenso wichtig ist die Art und Weise wie der betroffene Organismus auf die Schädigung reagiert. Also auch die Wirkung der äußeren Krank¬ heitsursachen ist zum größten Teil abhängig von gewissen inneren Einrichtungen des Körpers selbst; ganz verschiedenartige Einflüsse können unter Umständen die gleichen Krank¬ heitsvorgänge veranlassen, und das nämliche Agens kann in verschiedenen Fällen ganz ungleiche Erscheinungen auslösen. Man bezeichnet diese Bedingung, welcher im Bau des Körpers selbst liegt, als Krankheitsanlage oder Disposition. Diese kann in der Keimanlage begründet, also ererbt, oder intrauterin bzw. extrauterin erworben sein. Auch ist sie keine gleichbleibende Erscheinung, sondern kann zeitlich, örtlich usw. wechseln. Ist gar keine solche Anlage vorhanden, so daß es trotz des Vorhandenseins der äußeren Ursache, z. B. pathogener Bakterien, nicht zur Erkrankung kommt, so bezeichnen wir diesen Zustand als Immunität. Sie kann auch künstlich erworben sein. Es geht also hieraus hervor, daß, wenn wir für eine Krankheit den Nachweis einer bestimmten äußeren Ursache führen können, damit unsere Erkenntnis zwar wesentlich gefördert, aber keineswegs abgeschlossen und noch weniger das Wesen der Krankheit damit schon klargelegt ist. Letztere ist nicht einfach mit der Wirkung eines Agens, beispielsweise eines Bakterium, gleichzusetzen; das äußere Agens ist nicht die ,,Causa efficiens aller jener Folgeerscheinungen“, die im Körper nach seiner Einwirkung auftreten, sondern die Krankheit ist ein Vorgang, welcher die Verände¬ rungen des Körpers umfaßt, die von der Art und Weise abhängen wie der betroffene Organis¬ mus auf die Einwirkung eines Agens antwortet. Diese Reaktionen aber, also die geweblichen Vor¬ gänge selbst, wechseln, wie wir gerade bei Infektionskrankheiten verfolgen können, im Verlauf dieser sehr je nach der Verstärkung oder Abschwächung der Krankheitserreger — ihrer Zahl und Virulenz — einerseits, der Empfänglichkeits- und Abwehr-Lage des Körpers und seiner Teile anderer¬ seits; hier lassen sich oft genug Linien von der einfachen Empfänglichkeit (Normergie) über er¬ höhte bzw. veränderte Empfänglichkeit = Allergie bis zur nicht mehr vorhandenen Empfänglich¬ keit (auch Anergie genannt) ziehen. Wir sehen aus dem Vorhergehenden, daß es sich auch beim krankhaften Geschehen wie überhaupt bei der Kausalität von Vorgängen nie um eine Ursache handeln kann. Als ganze (vollständige) Ursache eines Geschehens kann man mit Roux ,,die Gesamtheit aller an ihm direkt oder indirekt beteiligten Teilursachen, sog. Faktoren und deren Anordnung“ bezeichnen. „Alle zusammen bringen durch ihr Wirken die Folge hervor.“ Im wesent¬ lichen sind diese Teilursachen dasselbe wie Bedingungen, nach Roux sind die letzteren erst für das zukünftige Geschehen gedacht, erstere beziehen sich auf das reale, wirkliche Geschehen. In der Medizin bezeichnen wir meist eine besonders hervortretende Bedingung als Ursache: „Unter Ursache verstehen wir eine nach den wechselnden Erfordernissen einer bestimmten Fragestellung herausgehobene Bedingung eines Geschehens, durch die unter Vernachlässigung oder selbstverständlicher Voraussetzung anderer Bedingungen das gesetzmäßige Abhängigkeitsverhältnis von Ereignissen ausgedrückt werden soll“ (Lubarsch). Bei In¬ fektionskrankheiten können wir also z. B. die Erreger als Ursache bezeichnen, die anderen Bedingungen oder Faktoren aber, wie die Körperverhältnisse, sind ebenso wichtig für das Verständnis des Erfolges. Ost ist es sehr zweckmäßig, den gesamten Faktorenkomplex in determinierende und realisierende Faktoren, d. h. in grundlegende oder disponierende und in auslösende, einzuteilen. Weiterhin ist es gut, scharf zwischen Gesetzen und Regeln zu unterscheiden, wie dies wiederum Roux gut gefaßt hat: „Gesetze des Wirkens bezeich¬ nen das ausnahmslos gleiche Wirken gleicher Faktorenkombinationen, bei vollkommen richtiger Ermittlung der beteiligten Faktoren und ihres Wirkens.“ Das Wort „Regel“ ist dann nur für das, wahre (nicht auf Beobachtungs¬ fehlern beruhende) Ausnahmen zulassende, „Vorkommen“ anzuwenden. Das Verständnis eines — auch krank¬ haften— Vorganges im Organismus ist am weitesten geklärt, wenn wir ihn in seiner Folge und seinem Kausal¬ nexus in physikalische, chemische und physiko-chemische Gesetze bzw. Regeln auflösen können; das ist aber bisher nur verhältnismäßig selten möglich; wir müssen zumeist physisch - kausale Relationen (Rioker) heran¬ ziehen, also solche, deren gesetzmäßige Folgen wir im Organismus — vor allem im Tierversuch — als sich kausal bedingend verfolgen können. Nur im kausalen Sinne dürfen wir von der Erklärung eines Vorganges sprechen. Es kann aber eine finale Betrachtungsweise teils als Wegweiser — gewissermaßen Brücke — zur Ursachen¬ ergründung, teils als diese ergänzend ebenso wichtig sein. „Causae efficientes dependent causis finalibus“ (Leibniz). Kant bezeichnete auch schon die teleologische Beurteilung der Organismen als „nicht allein erlaubt, sondern unvermeidlich.“ Dabei ist aber niemals an eine bewußte Zweckmäßigkeit, eine Absicht, bei irgendeinem physiologischen oder pathologischen Vorgang im Organismus zu denken. „Natur ist nur ein anderer Namen für die Gesamtheit der grundsätzlich wertfreien Dinge“ (Münsterberg). Aber „wir nehmen die Zweckmäßig¬ keit in der Organisation und in den Funktionen der lebenden Wesen als gegeben hin“ (Weigert). Und wir wissen auch, daß der Organismus Regelungen besitzt, seine „Ganzheit“ nach Möglichkeit zu erhalten. Selbst Lotze sprach schon von „Selbsterhaltungsfähigkeit“. Man hat auch von „ganzheitsbezogener Zweckmäßigkeit“ gesprochen. Peter sagt gut, ein Vorgang ist „zweckmäßig aber nicht zwecktätig zielstrebend“. Auch können wir uns nicht völlig von Bewertungen bei Vorgängen in der Natur frei machen, und besonders ist dies in der Patho¬ logie der Fall im Hinblick auf ihre Beziehungen zur praktischen Medizin, deren Endziel ja in teleologischen Hand¬ lungen, Bessern und Heilen von Kranken, besteht, und so ist dies hier gegebenenfalls auch von Wert. Nochmals sei aber betont, daß alles dies wichtige Erkenntnisse bedeuten kann, aber keine Erklärung von Vor¬ gängen darstellt.