Die Bedeutung der Reize für Pathologie und Therapie im Lichte der Neuronlehre / von A. Goldscheider.

Goldscheider, Alfred, 1858-1935.

Date:: 1898

Catalogue details

Licence: Public Domain Mark

Credit: Die Bedeutung der Reize für Pathologie und Therapie im Lichte der Neuronlehre / von A. Goldscheider. Source: Wellcome Collection.

23/100 (page 13)

In jedem Riickenmarksquerschnitt sind Bahnen der verschiedensten Längen-Abstufung vorhanden. Dies weist darauf hin, dass für eine äusserst mannigfaltige Verbindung der vei-schiedenen Rückenmarkshöhen unter einander Sorge geti-agen ist; demzufolge auch für eine sehr mannigfaltige Verbindung der Peripherie mit den verschiedenen Rücken- markshöhen. Zieht man in Betracht, in wie ausgedehnter Weise sich die Rückenmarksbahnen beim Uebergang ins Gehirn zerstreuen und wie unendlich reichhaltig die im Gehirn selbst gelegenen Verbindungen sind, so darf man ohne Gefahr den Satz aufstellen, dass wohl jeder Punkt des Nervensystems mit allen übrigen Punkten desselben in Verbindung steht. Somit ist jedem Reiz Gelegenheit gegeben, bei genügender Stärke sich über das gesammte Nervensystem zu ver- breiten. Es ist übrigens gar nicht nöthig dies so rigoros auszudrücken; man kann sich damit begnügen aufzustellen, dass jeder Reiz bei ge- nügender Stärke sich über einen grossen Theil des Nervensystems auszubreiten vermag. Diese Ausbreitung würde bei gleichen Neuron- schwellen ein gleichmässige sein, so dass die Erregung bei jedem Uebergang von einem Neuron auf das nächste sich in gleicher Weise abschwächt, die Erregung eines Neurons also um so schwächer ist, ein zu entfernteres Glied in der Kette es darstellt. Sind aber die Schwellen von ungleicher Grösse, so wird die Fort- leitung der Erregung so vor sich gehen, dass sie die Neurone mit tiefer Schwelle bevorzugt, weil diese geringeren Widerstand dar- bieten. In der That sind nun, wie wir gesehen haben, die Schwellen ungleich, und so wird der Reiz ganz difFerente Wege einschlagen. Am einfachsten lässt sich das durch die Verschiedenheit der Neu- ronschwellen entstehende Verhältniss an einer langen Hinterstrangfaser mit einer Anzahl von Collateralen (s. Fig. 1) oder an einem Strang- zellen-Neuron mit Collateralen (s. Fig. 2) nachweisen. Haben die an die Collateralen anstossenden Neurone sämmtlich gleiche SchweUenwerthe, so wird die Erregung die nächstgelegenen Collateralen bevorzugen; denn es ist eine gerechtfertigte Voraussetzung, dass sie mit der Länge des Neurons abnimmt (innerer Neuron-Widerstand); sie wird also die an die entfernten Collateralen anstossenden Neurone schwächer treffen und da- her nicht so günstige Bedingungen zur Fortpflanzung auf weiter an- schliessende Glieder der Neuronkette finden. Hat dagegen z. B. ein mit einer entfernten Collaterale in Verbindung stehendes Neuron einen niedrigeren Schwellenwerth als die anderen, so wird die Erregung in stärkerer Weise auf dasselbe übergehen, als ihm nach seiner Stellung eigentlich zukommt, es wird daher die Erregung auch mit einem höheren Intensitäts-Werthe behaftet expediren als die Nachbar-Neurone, kurz die