Vorlesungen über Kinderkrankheiten : ein Handbuch für Aerzte und Studirende.

  • Henoch, E. H. (Eduard Heinrich), 1820-1900.
Date:
1883
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Credit: Vorlesungen über Kinderkrankheiten : ein Handbuch für Aerzte und Studirende. Source: Wellcome Collection.

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    diese bedrohlichen Entwickelungsvorgänge leichter überstellen, sehen wir unter der Ungunst der äusseren Lebensverhältnisse in den armen Volks- schichten zahlreiche verderbliche Einflüsse sich geltend machen, welche die normale Entwicklung in pathologische Bahnen lenken. Die verdor- bene Luft enger, überfüllter Wohnräume, die mehr oder minder unan- gemessene, dem kindlichen Magen widerstrebende Ernährungsweise, der Einfluss der Kälte, des Hungers, die mangelnde Pflege der Mutter, die nur allzu oft durch die einer gewissenlosen Fremden ersetzt werden soll — alle diese Momente wirken zusammen, den normalen Entwickelungs- gang aufzuhalten und jene jammervollen Krankheitsbilder zu schaffen, die uns in den Sprechstunden der Armenärzte, in den Polikliniken, in den Kinderstationen der Krankenhäuser entgegenstarren. Viele dieser unglücklichen Geschöpfe tragen von einer kranken Mutter her den Keim des Todes von vornherein in sicli und fallen schon in den ersten Tagen nach der Geburt als Opfer der angeborenen Lebensschwäche; viele andere gehen an ererbter Syphilis zu Grunde; die meisten werden atrophisch, durch anhaltende Diarrhoe heruntergebracht, oder durch wiederholte Bronchialkatarrhe mit seeundären Anschwellungen der Bronchialdrüsen, welche schliesslich zu käsigen Degenerationen und allgemeiner Tubercu- lose führen, deeimirt. Ein grosser Thcil dieser Kinder ist unehelich geboren, und nicht wenige Mütter überweisen, wie ich aus eigener reicher Erfahrung versichern kann, das ihnen lästig gewordene Kind dem Kranken- hause, nicht um es geheilt wiederzusehen, sondern in der leider nur zu sehr gerechtfertigten Hoffnung, auf immer von ihm befreit zu werden. Von den in meine Abtheilung aufgenommenen Kindern dieser Art starb ein grosser Theil noch am Tage der Aufnahme. Diesen socialen Missständen gegenüber bleiben unsere ärztlichen Bemühungen nur allzu häutig machtlos, ja dem Erfahrenen sinkt überhaupt schon von vornherein der Muth, etwas zu unternehmen. Das ungelöste und kaum lösbare Problem, die eigent- lich causale Indieation, bleibt hier die Hebung der bezeichneten Miss- stände, gegen welche die Medicin als solche ohnmächtig ist. - Wir beschäftigen uns zunächst mit der ärztlichen Untersuchung, welche, wenigstens während der ersten Lebensjahre, wesentlich von der- jenigen der erwachsenen Patienten abweicht. Erschwerend wirkt schon der Mangel der Sprache oder die Unfähigkeit der Kinder, dem Arzte eine genügende Auskunft zu geben. In der Privatpraxis können die Mütter dafür eintreten, während man im Krankenhause meistens ohne alle Bei- hülfe der Angehörigen und ohne anamnestische Data auf eine rein objee- tive Untersuchung, wie beim kranken Thier, beschränkt ist. Die Schwierig- keit steigert sich noch durch die Aengstlichkeit und das Widerstreben der