Der Geschlechtstrieb : eine social-medicinische Studie / von Alfred Hegar.

  • Hegar A. (Alfred), 1830-1914.
Date:
1894
    Tabelle VI. Aufbau der Bevölkerung. Frankreich 1876 Preussen 1880 Alter auf 100 000 Einwohner m. w. Summe m. w. Summe 0— 5 ^ oo\J tj i OO 7 007 0 1R Q97 Q '± ÖOÖ 0 ioU,o ^ 7/m 1 0 1*4:0, i 11 ^9R A 11—15 A 089 o oyo 1 0 606,^ ^ 1 8zL Summe der Kinder 13 726 13 401 27 127 |l8 039,7 17 848,4 35 888,1 16—20 4 312 4 269 8 581 4 774,9 4 795,1 9 570,0 21—25 4 219 4 532 8 751 4 234,3 4 462,8 8 697,1 26—30 3 535 3 555 7 090 3 657,0 3 802,9 7 459,9 31—35 3 550 3 512 7 062 3 298,9 3 469,2 6 768,1 36—40 3 441 3 386 6 827 2 958,5 3 088,4 6 046,9 41—45 3 231 3 178 6 409 2 690,4 2 853,4 5 543,8 46—50 2 997 3 037 6 034 2 250,4 2 359,3 4 609,7 Ol—00 9. 7.^8 5 464 1 958 0 2 152,3 4110,3 56-60 2 360 4 834 1 743,9 1911,9 3 655,8 Summe d. Erwachsenen 30 351 30 701 61 052 27 566,3 28 895,3 56 461,6 61—65 2 048 2 106 4154 1 444,0 1 609,9 3 053,9 66—70 1562 1 622 3 184 953,4 1 077,2 2 030,6 71—75 1069 1 152 2 221 575,2 672,7 1 247,9 76—80 664 739 1403 322,0 383,4 705,4 81—85 278 346 624 127,6 160,6 288,2 86—90 72 115 187 33,9 46,4 80,3 91—95 14 26 40 6,2 10,3 16,5 96—100 2 5 7 1,2 1,9 3,1 100 u. m. 1 l| 0,5 0,8 1,3 Summe der Greise 5 709 6 112 11 8211 3 464,0 3 963,2 7 427,2 Unbekannt 105,9 116,1 222,0 Gesammtsumme 49 786 50 214 100 000 49 175,9 50 823,oj99 998,9 Frankreich 1876, Levasseur etc. II, pag. 263. Preussen 1880er Jahrbuch für Amtl. Statistik des preuss. Staats, V. Jahrg., pag. 79. Von dem Verfasser zusammengestellt.
    nährung durch Ammen kommt schon deswegen nicht in Be-
    tracht, weil sie relativ selten ist, ausserdem aber das, was das eine Kind gewinnt, das andere, das der Amme, verliert, wenn auch durchaus nicht immer, da diese ihr eigenes Kind häufig doch nicht säugen würde. Freilich sind Mütter, welche ihr Kind zu stillen vermögen, im Durchschnitt von besserem Schlag als die, welche dieses nicht leisten können, und man kann deshalb mit Sicherheit voraussetzen, dass die Kinder der ersteren schon besser aus- gestattet zur Welt kommen. Das Stillen oder Nichtstillen durch die eigene Mutter hängt nicht allein von deren Fähig- keit oder Unvermögen zum Säugen ab. In manchen Gegenden herrscht die Sitte, das Kind aufzufüttern, so dass auch zum Stillen geeignete Frauen sich davon fernhalten. Auch sind manche durch ihre Beschäftigung und Lebensweise daran ge- hindert. Leider sind keine genaueren Untersuchungen über die Grösse der verschiedenen Abhaltungsgründe vorhanden. Soweit meine Beobachtungen reichen, welche sich allerdings nur auf einen beschränkten Bezirk Süddeutschlands erstrecken, ist das Unvermögen, zu stillen, die Hauptursache. Die Weiber können nicht stillen, auch wenn sie den besten Willen haben, theils ihres allgemeinen Gesundheitszustandes halber, hauptsächlich aber wegen der schlechten und mangelhaften Beschaffenheit ihrer Brustdrüsen und Warzen, welche zudem häufig nicht etwa erworben, sondern angeboren ist Die Mortalität der Kinder in der ersten Lebenszeit steigt und fällt nun im All- gemeinen mit der Geburtsziffer. Eine intensivere Fortpflanzung wirkt auf mehrfache Art nachtheilig, vor Allem dadurch, dass zur Zeugung wenig taugliche Individuen dabei sich betheiligen. Diese geringe Tauglichkeit kann eine dauernde sein oder nur vorübergehend auftreten, was sehr häufig geschieht, wenn die Niederkünfte zu viel und zu rasch auf einander folgen. Eine hohe Geburtsziffer bedingt ferner dadurch eine grosse Sterb- lichkeit der kleinen Kinder, dass die Mütter nicht im Stande ^) Töpfer, Statist, zur BeschafFenheit der weibHchen Brust und des Stillgeschäfts. Inaug.-Diss. Freiburg i. B. 1893.
    sind, ihnen die passende Nahrung und Pflege zu verschaffen, sei es, dass sie krank oder schwach, oder die Kinderiast be- reits eine zu grosse geworden, oder dass bereits eine neue Schwangerschaft eingetreten ist, bevor das letztgeborene Kind das genügende Alter erreicht hat. Die Unfähigkeit zum Stillen hat hier einen besonders üblen Einfluss, indem eine neue Em- pfängniss leichter bei nicht säugender Frau eintritt. Dann ist nicht nur die Pflege des vorhandenen Kindes sehr erschwert, sondern auch die Kraft und Gesundheit der Frucht im Schoosse der Mutter gefährdet. Mit der grösseren Zahl der Kinder werden gewöhnlich auch die Geldmittel unzureichend, und die Lebens- haltung herabgesetzt, was weiterhin nachtheilig einwirkt. Der ursächliche Zusammenhang zwischen Kindersterblichkeit und intensiver Fortpflanzung kehrt sich übrigens auch um, indem jene zu erneuter Kindererzeugung verführt, so dass sich ein wahrer Circulus vitiosus herausbildet. Ein ganz bestimmtes Verhältniss in der Abhängigkeit der Kindersterblichkeit von der Geburtsziffer existirt nicht. Russland, die süddeutschen Staaten haben zwar alle neben einer hohen Geburtsziffer eine sehr hohe Kindersterblichkeit. Die erstere ist jedoch in Russ- land höher, und letztere geringer als in Württemberg, Baiern und Sachsen. Norwegen und Schweden haben eine geringe Geburtsziffer, und von allen europäischen Staaten die geringste Kindersterblichkeit. Allein erstere ist in Frankreich noch viel geringer, die Kindersterblichkeit dagegen relativ recht hoch ^). Sie betrug 1875—1879 für das erste Lebensjahr 17,98 > sämmtlicher lebend geborenen Kinder, für die Lebensjahre 1—5 dagegen 2,75. Die entsprechenden Zahlen für Preussen sind 22,22 und 4,06. — Nimmt man an, dass in ganz Deutsch- land die Verhältnisse die nämlichen seien wie in Preussen, so werden bei 50 Millionen Einwohnern jährlich 1 980 000 Kin- der geboren, von welchen 433 290 im Verlauf des nächsten Jahres sterben. Das Mehr der Todesfälle beträgt also für ^) Levasseur o. c. II, pag. 188 ff., 244 ff. u. 250. Tabelle nach Movimento dello stato civile confronti internazionali 1865—1883.
    Deutschland 253 490. Nimmt man an, dass auf jedes Kind 200 Mark Pflegekosten verwendet worden seien, so hat man dann schon eine Summe von 50 Millionen Mark Ausgaben mehr gegenüber Frankreich, was gewiss nicht zu hoch ge- griffen ist, wenn man neben den Kosten für Nahrung, Klei- dung, Pflege, auch noch, soweit dieses statthaft ist, die Mühe, Sorge, Kummer, die Lebensgefahr und Gesundheitsschädigungen der Mutter in eine Geldberechnung hineinzieht. In Wirk- lichkeit liegt die Sache schlimmer, da die Geburtsziff'er und Kindersterblichkeit in Sachsen und den süddeutschen Staaten wesentlich höher sind als in Preussen, und die höhere Mor- talität in den folgenden Jahren, wenn auch nicht in demselben Maasse, sich fortsetzt. Jedenfalls wären diese Kinder besser nicht geboren worden, auch ihrer selbst wegen, da die Em- pfindungen des Schmerzes und der Noth, wenn auch unaus- gebildet und unbewusst, doch immerhin bei ihnen vorhanden sind. Dass der nöthige Bevölkerungszuwachs auch bei viel geringerer Geburtsziflfer erreicht werden könne, wird durch andere Völker, wie Schweden und Norweger, hinlänglich dar- gethan. Man hat nun vielfach der hohen Kindersterblichkeit den Nutzen zugeschrieben, dass die schwachen, hinfälligen Ele- mente beseitigt und ein kräftiger, auserlesener Rest zurück- bleibe. Dann müsste die Sterblichkeit der späteren Alters- klassen erheblich abfallen. Dieses ist im Allgemeinen aber nicht so, indem jene gerade im Gegentheil bei Völkern mit höherer Kindersterblichkeit weiterhin auch hoch bleibt. So hat Oesterreich durch alle Altersklassen hindurch eine hohe, Schweden und Norwegen durchweg unter allen Staaten die niedrigste Mortalität von dem Neugeborenen bis zum 90jährigen Greis. Nur bei Württemberg ^) mit seiner sehr hohen Geburts- ziffer (42,61) und ausserordentlich grossen Sterblichkeit (34,17) im ersten Lebensjahr macht sich die Auslese in einem ge- wissen Grade und bis zu einer gewissen Altersperiode geltend. ^) Levasseur o. c. II, pag. 250.