Die traumatischen Verletzungen / von Carl Gussenbauer.

  • Gussenbauer, Carl, 1842-1903.
Date:
1880
Catalogue details

Licence: Public Domain Mark

Credit: Die traumatischen Verletzungen / von Carl Gussenbauer. Source: Wellcome Collection.

    271/344 (page 247)
    Die Erscheinungen des dritten Grades der CarbolsäureVergiftung sind nach den bekannt gewordenen Fällen so stürmisch, dass man sie sofort erkennt. Nach Infusion grosser Mengen von Carbolsäurelösungen, nament- lich der 5 °/o, hat man plötzliches Verschwinden des Bewusstseins, sehr kleinen fadenförmigen Puls, oberflächliche, unregelmässige Respiration, profuse Schweisssecretion, leichte Muskelzuckungen, selbst Krämpfe und Delirien beobachtet, lauter Erscheinungen, welche für eine heftige Reizung des Centralnervensystems sprechen. Diesem Reizungszustande ist in mehreren Fällen unter den Erscheinungen der Lähmung des Respirationscentrums rasch der Tod gefolgt. In anderen Fällen haben sich, die Kranken allmählig wieder erholt. Ich habe selbst niemals einen Fall einer Carboisäurevergiftung weder in diesem heftigsten Grade noch auch mit den oben angeführten Erscheinungen des zweiten Grades beobachtet. Dennoch kann ich nach den am letzten Chirurgencongresse bekannt gewordenen Beobachtungen Küster’s, Olshausen’s und Kocher’s nicht daran zweifeln, dass die beobachteten Erscheinungen auf eine Intoxication durch die Carbolsäure zu beziehen seien. Es sind auch seitdem wieder einige Fälle bekannt geworden (Ausspülungen des Uterus), so dass es mir gerathen erscheint, bei grossen Höhlenwunden, namentlich dort, wo der Abfluss erschwert ist, sehr vorsichtig mit den starken Carbolsäurelösungen umzugehen. Es liegt nahe anzunehmen, dass unter übrigens gleichen Verhältnissen mehr Carbolsäure resorbirt wird, wenn man eine 5 °/o als wenn man eine nur 2°/o Lösung nimmt. Freilich steht dieser Annahme die Be- hauptung Hueter’s entgegen, dass schwächere Carbolsäurelösungen ge- fährlicher seien als concentrirtere, weil letztere durch Coagulation des Eiweisses an der Wundfläche die Resorption erschweren und verhindern. Berücksichtigt man indessen, dass die meisten der schweren Carbol- vergiftungen durch Irrigation mit concentrirteren Lösungen hervorge- rufen wurden, so wird man nicht umhin können, mit einem entschei- denden Urtheile über die relative Gefährlichkeit der schwachen und concentrirten Carbolsäurelösungen bis auf weitere Erfahrungen einst- weilen zurückzuhalten. Es wäre ja auch wohl möglich, dass die vorgekommenen Un- glücksfälle (abgesehen von jenen, in welchen schwere bereits bestehende Allgemeinerkrankungen Zweifel darüber aufkommen lassen, ob sie auf Rechnung einer Vergiftung zu setzen seien) auf die Anwendung schlechter Carboisäurepräparate zu beziehen seien. Die Car- bolsäure kommt auch heute noch keineswegs in reinem Zustande im Handel vor, und wäre es ja möglich, dass ein Theil der beobachteten Vergiftungserscheinungen nicht der Carbolsäure als solcher, sondern anderen Substanzen anheimfallen. Es liegen eine ganze Reihe von Beobachtungen vor, welche zeigen, dass selbst verhältnissmässig grosse Mengen von Carbolsäure subcutan injicirt keine Intoxication bewirken. Lehrreich ist in dieser Beziehung Hu et er’s Behandlung des Erysipels mit den hypodermatischen Carbolsäureinjectionen, eine Be- handlung, die auch von anderen Chirurgen, so von Neudörfer nach- geahmt wurde. Trotz der wiederholten und mitunter sehr grossen