Ueber die Krankenpflege hysterischer Personen / Von Dr. L. Löwenfeld.

  • Loewenfeld, Leopold, 1847-
Date:
1896
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Credit: Ueber die Krankenpflege hysterischer Personen / Von Dr. L. Löwenfeld. Source: Wellcome Collection.

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    ■durchaus nicht immer in dem Maasse der Suggestion fügsam, wie die Pa- tientinnen der Nancyer Klinik; statt völliger Sistirung des Anfalles erzielt man häufig nur eine vorübergehende Unterbrechung desselben; allein auch diese ist schon eine Erleichterung für die Kranke, und darf man daher nie darauf verzichten, durch beruhigendes Zureden eine Beeinflussung des Anfalles zu ver- suchen. Wo die Kranken während der Attaquen Neigung zur Selbstbeschädi- gung oder Selbstmaltraitirung bekunden, wird man natürlich nicht müssig zu- sehen, sondern Vorkehrungen treffen, um Verletzungen zu verhüten. Es ist dabei aber weder erforderlich, noch nützlich, die Kranke dauernd festzuhalten und deren Bewegungen durch Gewaltanwendung allzu sehr zu beschränken. Dadurch wird oft nur die Agitation der Kranken gesteigert und verlängert. Man darf nicht übersehen, dass, wenn man die motorische Entladung der im Anfalle sich geltend machenden centralen Erregung hemmt, diese nothwendig anwachsen muss. Die hysterischen Schmerzen erheischen ein ähnliches Verhalten seitens der Umgebung, wie die Anfälle. Mitjammern ist keineswegs am Platze, auch wenn das Mitgefühl ein sehr lebhaftes ist; beruhigendes Zureden, Ankündigung bal- digen Nachlassens und Ablenkung erweisen sich oft recht nützlich. Wenn man, um dem Drängen der Kranken nach Erleichterung entgegen zu kommen, von der Anwendung irgend welcher Mittel nicht absehen kann, versuche man immer soviel als möglich mit unschädlichen i. e. suggestiv wirkenden auszukommen (Umschläge, Einreibungen, Sinaspismen u. s. w.). Der Arzt darf allerdings nicht glauben, mit der Anordnung derartiger Maassnahmen alles Erforderliche gethan zu haben; er darf sich nicht durch die von manchen Autoren noch vertretene Theorie, dass alle hysterischen Schmerzen Schmerzhallucinationen sind, abhalten lassen, nachzuforschen, ob nicht die hysterische Algie, wie dies häufig der Fall ist, von irgend einer Localaffection ausgeht, deren Beseitigung anzustreben ist. Handelt es sich um die Anwendung suggestiv wirkender Mittel, so kann deren Wirksamkeit durch das Verhalten der Pflegepersonen sowohl gefördert als gehemmt werden. Verräth die Umgebung Zweifel bezüglich des Heilwerthes des Mittels oder gar Bedenken wegen etwaiger nachtheiliger Wir- kungen, so werden bei der Kranken Vorstellungen hervorgerufen, welche die Suggestion der Heilung oder Besserung bei derselben nicht aufkommen lassen. Um die Heilsuggestion, welche das Mittel anregen soll, bei der Leidenden zu verstärken und zur vollen Entwickelung zu bringen, muss die Umgebung festes Vertrauen zu dem Mittel wenigstens zur Schau tragen — ihre private Meinung darüber ist natürlich irrelevant — und bei der Kranken bezüglich desselben auftauchende Zweifel entschieden bekämpfen. Sicher würde vielen Hysterischen der Gebrauch von Morphium, Chloral und ähnlichen Mitteln erspart bleiben, wenn Arzt und Pflege vereint sich mehr bemühen würden, die „larvirte Sug- gestion mit Umsicht und Ausdauer anzuwenden. Es giebt indess einzelne Fälle, in welchen die larvirte Suggestion, auch mit Geschick gehandhabt, sich unzulänglich erweist und man vorübergehend wenigstens von der Anwendung narkotischer oder sedativer Mittel nicht ganz Umgang nehmen kann. Auch dann bleibt für die suggestive Beeinflussung der Kranken seitens der Um- gebung noch ein grosser Spielraum. Man darf nicht jede Schmerzanwandlung durch Morphiumpulver oder Einspritzung unterdrücken, auch wenn das Ver- langen der Kranken noch so dringlich ist. Wenn man zu diesen Mitteln ge- griffen hat, so muss man auch bemüht sein, dieselben baldigst wieder entbehr- lich zu machen. Daher muss immer wieder versucht werden, der Kranken auch auf anderem Wege, durch Suggestivmittel, Erleichterung zu verschaftin.