Die nervösen Magenkrankheiten / von Berthold Stiller.

  • Stiller, Berthold, 1837-1922.
Date:
1884
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Credit: Die nervösen Magenkrankheiten / von Berthold Stiller. Source: Wellcome Collection.

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    dass mein Freund bei seinen mannigfachen Verdauungsbeschwer- den selten eine belegte Zunge hatte, gut gefärbt und normal genährt war, und eigentlich ganz so, ja besser ass, als ich und Andere. Und ich kam zu dem einfachen Resultat, dass der Mann wohl ein leichtes Magen- und Darmleiden habe, aber als nervöser und hypochondrischer Mensch alle Gefühle übertreibe und überschätze. Nach Jahren erst wurde neben dem Unter- leib der Kopf in den Vordergrund der Klagen gestellt; Wüst- heit, Schwindel, schlechter Schlaf, Unfähigkeit zu productiver Arbeit, also Zeichen cerebraler Neurasthenie, wurden nach und nach die Beherrscher der Scene; die Dyspepsie trat fast ganz zurück, um nur episodisch wieder aufzutauchen. Es kam endlich zur Platzangst, die solche Grade erreichte, dass Patient wochen- lang nicht allein über die Strasse zu gehen wagte; ja es geschah oft, dass er im Zimmer nicht vom Sessel aufstehen wollte, aus Angst umzufallen. Selbst Ortswechsel nützte Nichts; um diese Zeit nach Nizza geschickt, kam er nach zwei Monaten zurück, ohne dort ein einzigesmal einen Spaziergang gemacht zu haben. Dazu gesellten sich bald Palpitationen, Dyspnoe, Gefühle von zum Kopfe aufsteigenden Wellen, Intercostalschmerzen, Empfin- dungen von Stumpfheit und Lähmung in den Beinen dermassen, dass ich ihn oft aufstehen liess und ihn an meinem Arme an- fangs sachte, dann immer rascher durch die Zimmer führte, um ihm zu beweisen, dass er ganz gut gehen könne. Es waren also auch Erscheinungen spinaler und sympathischer Neurasthenie aufgetreten, um das Krankheitsbild zu vervollständigen. Ich will dasselbe, in welches noch viele Detailzüge einzuweben wären, nicht weiter fortspinnen. Heute ist Patient durch häufige Reisen, Kaltwasserkuren, und eine sehr günstige Lebensweise und Lebens- stellung von diesen unleidlichen Erscheinungen befreit ; er ist aber noch immer ein zahmer Neurastheniker aller Grade. Ver- stimmungen der Verdauung kommen und gehen; ziehende Ge- fühle im Gebiete des Trigeminus, Stiche in den Intercostal- räumen, Rhachialgien, Herzklopfen, treten oft auf; das Bediirt- niss nach Ortswechsel ist trotz unbedeutenden Natursinnes ein leb- haftes; die leichteste accidentelle Erkrankung, wie ein Schnupfen, entfesselt sogleich eine ganze Meute von heterogenen Beschwer- den. Inzwischen aber gibt es Zeiträume, wo das Niveau des