Volume 1

Lehrbuch der speciellen Pathologie und Therapie mit besonderer Rücksicht auf Physiologie und pathologische Anatomie.

  • Niemeyer, Felix von, 1820-1871.
Date:
1868
Catalogue details

Licence: Public Domain Mark

Credit: Lehrbuch der speciellen Pathologie und Therapie mit besonderer Rücksicht auf Physiologie und pathologische Anatomie. Source: Wellcome Collection.

Provider: This material has been provided by The University of Leeds Library. The original may be consulted at The University of Leeds Library.

    52/868 (page 30)
    halte sich nicht bei der Application einiger Blutegel an den Hals auf, da diese Prozedur von höchst zweifelhaftem Erfolge ist- er entferne vielmehr die Croupmembranen von den Tonsillen und tou- chire die kranke Rachenschleimhaut energisch mit Höllenstein, ein Verfahren, welches um Vieles zuverlässiger und bei der adstrin- girenden Wirkung des Höllensteins auf die Gewebe vielleicht das sicherste Antiphlogisticum ist. Was die In dicatio morbi anbetrifft, so pflegen viele Aerzte zumal auf dem Lande, Blutegel und Brechmittel vorräthig zu ver- schreiben und beide Mittel oder eines derselben sofort in Gebrauch ziehen zu lassen, sobald sich die ersten Spuren der Bräune zeigen: die Blutegel sollen die Entzündung mässigen, die Brechmittel die Croupmembranen beseitigen, fast Niemand hat den Muth, der Bräune gegenüber sich exspectativ zu verhalten, bis besondere Zufälle be- stimmte Massregeln fordern. Wir verdanken die Erfahrung, dass bräunekranke Kinder auch ohne Blutegel und Brechmittel genesen können, hauptsächlich den Homoeopathen. Die Blutegel, von welchen man bei Kindern unter einem Jahre 1 bis 2, bei älteren eine mit den Jahren steigende Anzahl an das Manubrium sterni oder an den Hals zu appliciren pflegt, sind auch gegen die Bräune von höchst zweifelhaftem Erfolg; bei Weitem in den meisten Fällen sind sie direct schädlich. Ihre Empfehlung stützt sich zum grossen Theil auf die irrige Ansicht, dass Hyperaemie und Entzündung coincidiren, dass eine Blutentziehung deshalb die Entzündung be- seitige. Der eigentliche Entzündungsprozess wird durch Blut- entziehungen nicht unterbrochen, wohl aber können dieselben die collateralen Hyperaemieen in der Umgebung der entzündeten Stelle ' mässigen. Findet in den Gefässen der Kehlkopfschleimhaut eine Stase Statt, ist der Blutlauf in denselben unterbrochen, so strömt das Blut mit grösserer Gewalt in die Gefässe der benachbarten Gewebe, bewirkt vermehrte Transsudation, Schwellung, Oedem der- selben. Von letzterem haben wir einen Theil der Gefahr abgeleitet, welche der Croup hervorruft; haben wir es daher mit vollsaftigen, blühenden Kindern zu thun, aber auch nur in diesem Falle, so dürfen wir einige Blutegel an das Manubrium sterni appliciren. Nie darf man dieselben an den Kehlkopf selbst setzen, da dort die Blutung schwer zu stillen ist; in allen Fällen setze man die Blutegel selbst oder lasse sie von einem zuverlässigen Chirurgen setzen, der es versteht, die Blutung zu stillen. Bei schwächlichen, schlecht ernährten Kindern sind die Blutentziehungen contraindi- cirt; es ist höchst gefährlich, die Kräfte des Kindes zu consumi- ren, von deren Erhaltung es wesentlich abhängt, ob es später im Stande ist kräftig zu expectoriren. Die Bildung des Exsudats zu verhüten sind die Blutentziehungen nicht im Stande. Was die Anwendung der Brechmittel betrifft, so ist die „re- vulsivische“ Wirkung, durch welche sie einen Einfluss auf den Croup äussern sollen, durchaus problematisch; noch weniger darf man sich