Die Bewegung als therapeutischer Faktor : Prospekt zur Eröffnung des Darmstädter medico-mechanischen Institutes / von H. Lossen.

  • Lossen, Hermann (Hermann Friedrich), 1842-
Date:
1898
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Credit: Die Bewegung als therapeutischer Faktor : Prospekt zur Eröffnung des Darmstädter medico-mechanischen Institutes / von H. Lossen. Source: Wellcome Collection.

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    Es kann ja auch nicht alles gelehrt werden, weil die Wissen- schaft ständig fortschreitet, die Praxis einen zwingt, sich bald mit diesem, bald mit jenem eingehender zu beschäftigen, von dem man früher kaum mehr als den Namen gewusst. So ist es mir mit den „physikalischen Heilmethoden*), speziell mit der Zander^schen Bewegungstherapie ergangen. In Grossstädten und grossen Badeorten sind jetzt überall medico-mechanische Institute, aber der Mehrzahl der Ärzte fehlt entweder die Gelegenheit sie näher kennen zu lernen, oder begreif- licherweise doch das Interesse für ein Verfahren, das eine grosse Anzahl von Apparaten voraussetzt. So liesst man denn wohl oder hört von „schwedischer Gymnastik, „Heilgymnastik, „Zander- gymnastik, „maschineller Gymnastik und verbindet damit die unglaublichsten Vorstellungen. Ich muss gestehen, dass ich anfangs auch zu den Ärzten gehörte, die mit Zabludowshi meinten, dass in den Zawc^er-Instituten mit Dampf gearbeitet, dass die Massage hier im grossen mit Maschinen betrieben würde. Ich bin aber dann eines besseren *) Die „physikalischen Heilmethoden werden beim Unterricht aller- dings recht stiefmütterlich behandelt. Zu meiner Studienzeit hat man sie überhaupt kaum erwähnt. — Viel anders scheint aber die Sache mittlerweile auch nicht geworden zji sein. Dass sie als obligatorischer Unterrichtsgegenstand eingeführt werden sollten, wurde zwar auf dem vorjährigen Kongress in Moskau ausgesprochen — aber der Weg vom Ausspreche n bis zum Ausführen ist manchmal recht weit. Die physikalisch-diätetische Therapie bleibt immer noch die Domäne von Spezialisten, statt Gemeingut aller Ärzte zu sein. Wenn sogar die Herren Professoren selbst schon anfangen sich darüber zu beklagen, muss es wohl höchste Zeit sein. Dies geschieht z. B. in dem Schriftclien des Geh. Rath Kussmaul über den kommissarischen Entwurf zur llevision der deutschen medizinischen Prüfungsordnung (C. Winter, Heidelberg), in den Schlussbemerkungen des neuen Werkes von Prof. Goldscheider: „die Bedeutung der Reize (Leipzig-Barth). Auch hat man eine wissenschaftliche Zeitschrift für diätetische und physikalische Therapie unter der Ägide E. V. Leyden's gegründet. Eine kunstgerechte individuelle Behandlung ist eben nur denkbar bei einer Beherrschung sämtlicher Heilfaktoren — also auch der natürlichen. Wäre die Ausbildung hierin besser, hätten wir uns mit ihnen vertrauter gemacht — brauchten wir keine Gesetze gegen das Kurpfuschertum. Die Einseitigkeit in der Therapie hat uns stets noch am meisten geschadet; dess- wegen begreife ich auch nicht, wie ein praktischer Arzt auf sein Schild setzen kann: „Naturarzt oder „Homöopath oder „Electrotherapeut. Das sind doch keine epitheta ornantia, sondern Bezeichnungen, die nach unlauterem Wettbewerb riechen. Ich bin als praktischer Arzt doch immer auch Naturarzt und kann, wenn es mir passend dünkt, Wasser, statt Arznei verschreiben. Das Publikum kommt ja zu uns und will geholfen haben; das „wie sollte unsere Sache, unsere Kunst sein, die sich eben nach dem Einzelfall zu richten hat.