Die Storungen der Sprache : Versuch einer Pathologie der Sprache.

Kussmaul, Adolf.

Date:: 1877

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Credit: Die Storungen der Sprache : Versuch einer Pathologie der Sprache. Source: Wellcome Collection.

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Ein taubstummer Knabe wurde im Jahre 1805 von der Polizei in Prag iimherirrend gefiinden. Da man nichts aus ilim heraiiszubringen vermoclite, so scliickte man ihil in's Taiibstummen-Iiistitut, wo er unter- riclitet wurde. Als er soweit gebildet war, um genaue Antworten auf vorgelegte Fragen zii ertheilen, gab er eine Schilderung dessen, was ihm von seinem friiheren Leben erinnerlicli war. Sein Vater, sagte er, liatte eine Miihle, vom Haiisgerath iind der Umgebung gab er eine genaue Beschreibung. Ausfiihrlich erzalilte er von seinem Leben dort, wie seine Mutter und Scliwester starben, sein Vater wieder heiratliete, seine Stiefmutter ihn missliandelte und er davon lief. Er kannte weder seinen eigenen Namen, nocli den Namen der Miihle, wusste aber, dass sie von Prag gegen Morgen lag. Man stellte Nacliforschungen an und die Augaben des Knaben bestatigten sich. Die Polizei fand seine Heimath, gab ihm seinen Namen und sicherte sein Erbtheil. Aus dieser Beobachtung geht hervor, dass ein tauber Knabe, der die Lautsprache nicht erlernt hatte, doch eine Menge genauer Erinnerungsbilder in sich aufbewahrte und durch Urtheile zu rich- tigen Vorstellungen sehr verwickelter Verhaltnisse verkniipfte. Dass er aber diese Vorstellungen ohne Mithilfe einer wenn auch unvoll- kommenen Geberdeusprache sich verschaffte, geht aus der Erzahlung nicht hervor. Es gibt keinen Taubstummen, der nicht eine Anzahl von Geberden erlernte, durch die er sich wenn auch nicht mit Frem- den, so doch mit seinen Angehorigen verstandigte, er mttsste denn zugleich blodsinnig sein. Auch ist die Annahme gestattet, dass der Knabe, nachdem er in der Anstalt unterrichtet worden war, viele Erinnerungsbilder nachtragiich in ihre richtigen Beziehungen brachte und jetzt erst frtiher unverstandene Verhaltnisse verstand. Wir sind dazu berechtigt, weil nach der iibereinstimmenden Schilderung so erfahrener Taubstummen - Lehrer, wie des Abbe Si card und des Directors der Berliner Taubstummen-Anstalt Eschke, nicht unter- richtete Taubstumme sich kaum liber die Verstandes- und Gemiiths- stufe der Thiere erheben'). 2) Man beruft sich ferner auf die schon im zweiten Lebeusjahre blind und taub gewordene Laura Bridgeman^), welche nur des Tastsinns vollkommen machtig, — auch der Geruchsinn war fast, 1) Vgl. E. Schmalz, Kurze Geschichte und Statistik der Taubstunimen- Anstalteu u. s. w. Dresden 1830. S. 26 f. 2) Ihre Geschichte wurde von ihrem Lehrer Dr. Howe, dem Vorsteher des Blindeninstituts zu Boston, in mehrereu Berichten verolfentlicht. Vgl. Zeitschr, fiir die gesammte Medicin von Fricke und Oppenheim, Bd. 13, 1S40, S. 1. ,— Froriep's neue Notizen, Bd. 21, 1842. S. 273. — Boz, Amerika. Uebers. von Moriarty, Th. 1. 1843. S. 56. — Burdach, Blicke ins Leben. Leipzig 1844. Bd. 3.