Die Storungen der Sprache : Versuch einer Pathologie der Sprache.

  • Kussmaul, Adolf.
Date:
1877
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Credit: Die Storungen der Sprache : Versuch einer Pathologie der Sprache. Source: Wellcome Collection.

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    Erkenntnissstoff, aber der Geist assimilirt ihn nacli den ihm ge- gebenen E r k e n n t n i s s f o r m e n. Der sinnliche Stoflf muss erst durch die dreifacbe Miihle der Logik, Metaphysik und Grammatik gehen, ehe er wirklich begriffliches Eigenthum wird. Hieraus erhellt, dass die Worte, sobald die Sprache liber die vorbereitsnde Stufe der Onomatopoese hinaus ist, nicbt mehr blosse Anscbauungsreflexe sind. Vielmebr ist es die abstracte Vorstellung oder der Begriff, an den das Wort sich kniipft; und zwiscben Sinnen- bild und Wort liegt ein weites intellectuelles Arbeitsfeld, welches stets in Thatigkeit gerathen muss, ehe das Wort ertont. Letzteres ist immer Ausdruck und Abschluss einer Gedankenbe- wegung, die ibre letzte Quelle zwar in der sinnlichen Wahrnebmung hat, aber nicbt unmittelbar an diese an- kniipfen muss. Gedanken zeugen Gedanken so gut wie aus Wahrnehmungen Gedanken erzeugt werden. Man hat darum, in- dem man zwiscben Anscbauung und Vorstellung unterschied, die Worte mit mehr Recht als Vorstellungsreflexe aufgefasst (Steintbal, Lazarus). Wenn man diesen Ausdruck gebraucht, so kann damit nur ge- sagt sein, dass die Reflexmecbanik, die alle vom Nerveusystem ausgehenden organischen Bewegungen vermittelt, aucb die Bewegungs- complexe der Worter erzeugt, die begrifflicbe Vorstellungen aus- drtlcken. Diesen Reflexmechanismus in dem ganzen Ge- triebe seiner Rader und Transmissionen und die leben- digen Krafte, aus denen er gespeist wird, aufzudecken, ist die Aufgabe der Physiologie der Sprache. Wir seben beira Sprecben Vorstellungen, Geflible und sinnliche Anschauungen in einer ungemein verwickelten Weise in einander greifend die motorischen Apparate, die das Wort zur vernebmlichen Aeusseruug bringen, in Bewegung setzen. Wir machen uns die Sache nur scheinbar ieicbt, indem wir die Sprache kurzweg als einen Will ens act bezeichneu oder nach der pbysiologiscben Terminologie unter die associirten Vorstellungsreflexe einreihen. Was man Will en nennt, ist keine einfache Kraft, sondern ein sebr complicirtes Ineinandergreifen theils associatorischer, theils reflectorischer Vorgange in dem err eg ten Nervensystem und die Sprache als Willensact ist erst erklart, wenn es uns gelingt, alle die hiebei vor sicb gehenden be- sonderen Associationen und Reflexe im Nervensystem zu localisiren, d. b. alle die Bahnen, durch welche die Erregung geleitet wird, anatomisch zu bestimmen und zugleich alle die Kraftquellen, aus denen sie gespeist wird, physiologisch festzustellen.