Tachycardie : eine klinische Studie / von F. Martius.

Date:
1895
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Credit: Tachycardie : eine klinische Studie / von F. Martius. Source: Wellcome Collection.

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    Das Herz trägt die Bedingungen seiner rhythmischen Thätigkeit in sich selbst. Dahingestellt mag zunächst bleiben, ob wir den Sitz der Automatie in die Ganglienzellen des Herzens oder — wie die junge Leipziger Schule will — in die zuckende Muskulatur selbst verlegen sollen. Jedenfalls bedarf diese rhythmische Herzautomatie der Ueber- wachung und Regelung. Die tägliche Erfahrung lehrt, wie erstaunlich gross die Anpassungsfähigkeit der Herzarbeit an die überaus wechselnden Bedürfnisse des Organismus in Ruhe und Arbeit ist. Geradezu wunder- bar fein ausgestaltet ist der complicirte Mechanismus, der reflectoris* h die Beziehungen zwischen Herz, Lungen und Gefässen, oder functionell ausgedrückt, zwischen Kreislauf, Athmung und Blutdruck regelt. Und doch sind die groben Verknüpfungen einfach. Das regulirende, refiec- torisch erregbare Centrum liegt in der Med. oblongata. Die zügelnden, hemmenden Impulse sendet es zum Herzen auf der Bahn des Vagus, zur Uebermittlung der anregenden, beschleunigenden Reize stehen ihm gewisse Sympathicusfasern zur Verfügung. Was hindert uns, diese Verhältnisse einfach und ohne Weiteres auf die Beobachtungen am Krankenbett zu übertragen ? Ein anscheinend gesunder Mensch bekommt einen Anfall von Herzklopfen mit einer Pulsfrequenz von 200 Schlägen und mehr in der Minute, plötzlich einsetzend und ebenso plötzlich wieder verschwindend. Was ist das? Nun, es wissen's und sagen's die Schüler aller Orten. Selbstverständlich ist das Vaguslähmung oder Acceleransreizung. Haben wir uns hinsichtlich dieser Alternative schlüssig gemacht, so ist der Anfall physiologisch-exact erklärt. Kaum giebt es wohl noch einen Arzt, der die Medicin auf anderer Grundlage aufgebaut wissen will, als auf dem der exacten Anatomie und Physiologie. Und doch giebt es einen Standpunkt, von dem aus man berechtigt ist, vor einer zu voreiligen Uebertragung physiologischer Experimentalergebnisse auf die Pathologie zu warnen. Wir befinden uns offenbar in einer Zeit einseitiger Ueberschätzung des Thierexperiments. Ich bitte mich nicht falsch zu verstehen. Ich sage nicht, dass experi- mentelle Physiologie und Pathologie die Bedeutung des Experiments überschätzten oder auch nur überschätzen könnten! Sie sind ja ihrem ganzen Wesen nach Experimentalwissenschaft und leben als solche nur von den Ergebnissen des zielbewusst angestellten Thierversuchs.. Ich sage, dass die Bedeutung der Resultate dieser Wissenschaften für das Krankenbett, für die klinische Medicin nicht einseitig überschätzt werden darf. Gewiss sind die Anregungen gross und unersetzbar, die wir aus dem Thierexperiment zum tieferen Eindringen in das Wesen gewisser pathologischer Vorgänge schöpfen. Aber mehr auch nicht. Giebt das Thierexperiment uns auch das Leitmotiv der Forschung an die Hand.